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Das kranke Gesundheitssystem

Anregung und Kritik erwünscht

Als steter Streiter gegen ein in meinen Augen ungerechtes Gesundheitssystem, dessen Gewinner die Krankenkassen und dessen bedauerliche Opfer die Patienten sind, freue ich mich über jede Form von Zustimmung, Ratschlag, Anregung oder Kritik. Ich wünsche mir nur, dass bei aller nachvollziehbarer Emotion der gute Ton in schriftlichen Beiträgen die erste Geige spielt.

Dr. Christian Nunhofer

Das ist der Funktionär sich wert

Von Kranken und Kassen Posted on 09 Mrz, 2015 07:45:34

An sich wollte ich das Thema „Kassenärztliche Vereinigungen und deren Funktionäre“ jetzt für einige
Zeit ruhen lassen. Es gibt doch noch genug andere Missstände im Gesundheitswesen, über die zu schreiben sich lohnt. Allerdings lässt mir das aktuelle Deutsche Ärzteblatt (Heft 10/2014) keine Wahl, mich schon wieder über
KV-Funktionäre zu echauffieren. In meinem Blogbeitrag „Dysfunktionale Funktionäre, Teil 2“ habe ich dargelegt, warum die KV-Chargen die Interessen der ärztlichen Basis gar nicht ernsthaft vertreten wollen:
Weil sie so hoch bezahlt sind, dass das mit weitem Abstand führende Interesse für diese Klientel der Erhalt des eigenen lukrativen Postens ist – und nicht etwa die ärztliche Interessensvertretung. Fast schon peinlich deutlich
bestätigte sich diese These, als vor zwei Wochen der Chef der kassenärztlichen Bundesvereinigung KBV, Gassen, in Günther Jauchs sonntagabendlicher Talkrunde in der ARD zum Thema „Wartezeit auf Arzttermine“ zu
Gast war. Jauch versuchte Gassen zweimal mit der Formulierung „… um nicht von Rationierung zu sprechen …“ das Stichwort zu geben. Und was tat Gassen? Er sprach tatsächlich NICHT von der reell existierenden
Rationierung der ambulanten Medizin. Eine penible Aufklärung des Volkes über das Faktum „Rationierung ambulanter ärztlicher Leistungen“ hätte ja eventuell das System und damit seinen – Gassens – Job in Frage
gestellt. Statt dessen schwafelte er dümmlich und falsch von annähernd gleicher Bezahlung bei privat und gesetzlich Versicherten.

„Allein der Knete wegen“

Jetzt also: Im aktuellen Deutschen Ärzteblatt 10/2015 sind auf Seite A435 ff die Bezüge der KV-Vorstände
in Bund und Ländern aufgelistet. Was nun folgt, ist etwas Rechenarbeit – mit erstaunlichen Ergebnissen, die die obige These des KV-Funktionärsjobs „allein der Knete wegen“ mehr als unterfüttern.Der vormalige Vorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung Dr. Köhler hatte 2013 für seine Tätigkeit
mit fünf Tagen in der Woche 326.372,80 € bezogen.
Dem neuen Vorsitzenden, jenem erwähnten Orthopäden Dr. Gassen, sind in seiner Vorstandszeit, die im
März 2014 begann, bis Dezember 274.666,70 € zugeflossen. Und zwar bei einem Praxistag pro Woche, also für eine Vier-Tage-Woche in der KBV. Rechnet man diese Einnahmen aufs Jahr und eine Fünf-Tage-Woche um, so resultieren
stattliche 412.000,05 €. Dies entspricht einem Zuwachs für den KVB-Vorsitz von 2013 auf 2014 um irrsinnige 26 Prozent. Zur Erinnerung: Selbiger Herr Gassen hatte sich im Oktober 2014 mit den Gesetzlichen Krankenkassen
flugs auf einen Zuwachs der Arzthonorare von 800 Millionen Euro geeinigt, was einem Durchschnittsplus von 2,7 Prozent pro Praxis entsprach.

Was verdient der Arzt?

Was eigentlich verdient ein niedergelassener Arzt in seiner Praxis? Darüber gibt die Kassenärztliche Bundesvereinigung,
deren Vorsitzender ja jener Herr Dr. Gassen ist, Auskunft: Unter http://www.kbv.de/html/2121.php erfahren wir, dass der Honorarumsatz aus „Kasse“ pro Facharzt 2011 bei 197.143 € lag. Neuere Zahlen finde ich leider
nicht. Aber behelfsmäßig kann man mit den 2,7 Prozent Umsatzplus hochrechnen, die Herr Gassen im Oktober für die niedergelassenen Kassenärzte „herausgeholt“ hatte. Damit lässt sich abschätzen, dass eine Facharztpraxis
2014 auf einen durchschnittlichen Honorarumsatz durch Kassenpatienten von 213.547 € kam.
Nun informiert uns die KBV auf ihrer oben erwähnten Internet-Seite darüber, dass dem Durchschnittsarzt
vom Umsatz nur 23,5 Prozent „Netto“ verbleiben. Klar: Praxismieten, Personal- und Gerätekosten etc., die eigene Krankenversicherung, die Rentenkasse und zuletzt auch noch der Fiskus wollen bedient werden. Absolut
in Zahlen ergibt sich damit ein Jahresnetto für einen Facharzt in der Praxis aus Einnahmen von gesetzlich Versicherten von schätzungsweise 50.184 €. Wie sieht die Rechnung nun für Herrn Gassen aus? Die Tätigkeit in der KVB ist Brutto, also kein Umsatz.
Wollen wir – großzügig im Sinne von Herrn Gassen gerechnet – davon ausgehen, dass von diesem Brutto 55 Prozent für Steuern und Sozialabgaben abgehen, so dass Netto 185.400 € überbleiben.

Nur heiße Luft

Eine analoge Rechnung lässt sich auch für die zweite Vorsitzende der KV Bayern erstellen. Warum habe ich
mir gerade diese Dame ausgesucht? Weil sich Frau Dr. Ilka Martina Enger gerne als Tribunin der ärztlichen Basis geriert. Freilich ohne in vier Jahren KV-Zugehörigkeit irgendetwas von Relevanz für diese Basis erreicht zu
haben. Mehr als Absonderung heißer Luft ist nicht. Unter Verwendung der Zahlen aus dem Deutschen Ärzteblatt 10/2015 ergibt sich ein Plus der Funktionärsbezüge 2014 von 3,3 Prozent zu 2013. Ebenfalls mehr als die 2,7 Prozent,
die Gassen für sein Fußvolk ausgehandelt hatte. Den Gratis-Dienstwagen und die zusätzlichen üppigen Altersbezüge via KVB lasse ich in der Rechnung ganz außen vor. Unter Berücksichtigung der Drei-Tage-Woche von Frau
Enger für die KVB in München (bei zwei Tagen eigener internistischer Praxis in Neutraubling) errechnet sich aufs Jahr hochgerechnet für die Funktionärsarbeit in der KV Bayern ein Jahressalär von – Tusch und tatää! –
415.187 € brutto, oder netto bei wiederum geschätzten 55 Prozent Abzügen: 186.834 €.
Das heißt: Die im Vergleich zur ärztlichen Arbeit verantwortungs- und risikoarme Tätigkeit eines KV-Spitzenfunktionärs
ist den Ärzten an der Basis, die das KV-System mit ihren Zwangsbeiträgen finanzieren, im Falle Gassen und Enger zirka drei- bis viermal so viel wert wie die eigene Arbeit an den Patienten in der Praxis. Das dürfte den
Kolleginnen und Kollegen, die tagtäglich in der Praxis schuften und die Bevölkerung versorgen, bis dato so nicht klar gewesen sein. Allerdings ist zu bezweifeln, dass die im System verbliebenen Kollegen den Mumm haben,
ihre Selbstbedienungs-KV-Funktionäre in die Wüste zu schicken. Aber vielleicht begehren ja letztendlich die Patienten auf, aus deren Kassenbeiträgen sämtliche Geldflüsse zur den KVen stammen. Sammeladresse für Protest:
patient-informiert-sich.de.
„Wenn es die Kassenärztlichen Vereinigungen nicht gäbe, dann müsste man sie erfinden“, konstatierte
der stellvertretende Vorsitzende des Bayerischen Facharztverbandes, Dr. Dolf Hufnagl, auf der Vollversammlung des Bayerischen Facharztverbandes in Ingolstadt 2011. Aus Sicht der KV-Funktionäre kann man dem sicher nur beipflichten.



Ziel ist Schaden des Patienten

Von Kranken und Kassen Posted on 02 Mrz, 2015 09:27:44

Über die Kassenärztlichen Vereinigungen habe ich mich schon in früheren Blogbeiträgen ausgelassen. Sie wissen daher vielleicht bereits, dass diese Institutionen unter anderem
dafür zuständig sind, das Geld von den Krankenkassen an die Ärzte weiterzuleiten.

An sich – denken Sie nun eventuell – kann mir als Kassenpatient diese Einrichtung „KV“ doch gleichgültig sein. Es handelt sich um eine Ärzteorganisation, mit der
ich als Patient und Kassenversicherter nichts zu tun habe. Das allerdings ist ein Irrtum! Im Folgenden erkläre ich Ihnen, warum KVen Instrumente zum Schaden der Patienten und der Ärzte, aber zum Nutzen der Krankenkassen
und der Politik sind.

Eine weitere Aufgabe der KVen besteht in der Sicherstellung. Das heißt, die KVen organisieren die ambulante Medizin für die gesetzlich versicherten Patienten so, dass diese
gewährleistet ist.

Patient kann nichts einfordern

Nun kommt der springende Punkt: Als Patient haben Sie kein Vertragsverhältnis mit der KV, können demnach also auch nichts einzufordern. Nun regelt das Sozialgesetzbuch
im 5. Kapitel, § 12: (3) „Konnte die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen oder
hat sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt und sind dadurch Versicherten für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden, sind diese von der Krankenkasse in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig
war“. Damit wird juristisch klar zum Ausdruck gebracht, dass der Patient seiner Krankenkasse gegenüber einen Leistungsanspruch hat. Was durchaus einleuchtet: Schließlich zahlt der Patient seine Versicherungsbeiträge
an die Kasse, aber nicht an die KV.

An dieser Stelle kommt der unselige Sicherstellungsauftrag ins Spiel: Jede Kasse wird sich immer darauf herausreden, dass eine nicht erbrachte Leistung durch die KVen und somit
letztlich durch die Ärzte zu verantworten ist, denn bei der KV liegt ja der Sicherstellungsauftrag.

Der Blick ins Ofenrohr

Also: Was haben die Kassen von der KV? Die Möglichkeit, sich der Verantwortung gegenüber den Versicherten zu entledigen, die sie nach Gesetz an sich ihren Versicherten gegenüber
hätten! Und was haben die Patienten von der KV? Den Blick ins Ofenrohr, wenn es um die Durchsetzung von Ansprüchen gegenüber ihrer Krankenkasse geht! Die Kasse behauptet bequemerweise, der Arzt müsse leisten, der Arzt
hingegen wird darauf hinweisen, dass er nach Gesetzeslage gar nicht leisten darf – und der heillos überforderte Patient steht verzweifelt oder wütend dazwischen.

Den Politikern ist dieser Missstand durchaus klar. Volksvertreter hatten ja auch schon wiederholt angedroht, die KVen zu beseitigen – aber schnell einen Rückzieher gemacht,
als die Ärzte diesem Ansinnen Beifall klatschten. Ja wollen denn die Ärzte die KVen nicht?? Zumindest diejenigen wollen sie nicht, die durchblicken im System. Bloß von denen hören Sie nichts, die haben keine Stimme in
den Medien. Und welche Ärzte sprechen im Funk und Fernsehen überhaupt einmal zum Thema KV? Klar, die KV-Funktionäre, die sich als solche im KV-System dumm und dämlich verdienen. Von einem KV-Funktionär ein Statement zur
Abschaffung der KV zu erwarten ist genau so naiv, wie sich von einem Frosch einen Appell zur Trockenlegung eines Sumpfes zu erhoffen.

Weswegen nur werden also von politischer Seite die KVen nicht abgeschafft? Weil die KVen von den Ärzten per Zwangsbeitrag finanziert werden, aber den Landesgesundheitsministerien
gegenüber weisungsgebunden sind. Die KVen sind also erstens ein kostenfreies Instrument, um politischen Willen gegenüber den Ärzten durchzusetzen.

Zweitens noch dazu ein beliebter Sündenbock für all das, was in der Gesundheitspolitik schief geht. „Da haben die ärztlichen Selbstverwaltungen versagt“ – also die
KVen – ist der Standardsatz eines jeden Gesundheitspolitikers für jeden gesundheitspolitischen Unsinn. Und davon gibt es reichlich. Die zweite Hälfte der Wahrheit, nämlich „Den Mist haben wir Politiker verbockt, die
KVen setzen doch nur gezwungenermaßen um, was wir vorgeben“ verschweigen die Damen und Herren Mandatsträger gewohnheitsmäßig.

Warum sollte die Politik eine überflüssige Behörde abschaffen, die dazu dient, politisches Versagen verschleiern zu können und die obendrein nichts kostet?! Apropos
„nichts kostet“: Arbeiten die KVen wirklich zum Nulltarif? Nein, natürlich „kosten“ sie, nur eben keine Steuergelder. Es handelt sich um riesige Verwaltungsapparate, die sich dadurch finanzieren, dass sie ihre
Beiträge von den Honorarauszahlungen an die niedergelassenen Ärzte praktischerweise gleich einbehalten. Stellt sich die Frage, woher die Mittel für die Arzthonorare kommen? Ah ja, von den Krankenkassen, also letztlich von
Ihren Versichertenbeiträgen! Sie finanzieren also eine Institution, die es Ihnen unmöglich macht, Ihre Rechtsansprüche gegenüber Ihrer Krankenkasse durchzusetzen. Im Fußball heißt das „Eigentor“! Aber mit dem
deutschen Michel lässt sich so etwas ja locker veranstalten. Der arme Kerl gibt anscheinend gern Geld dafür aus, um sich seiner Rechte gegenüber seiner Krankkasse berauben zu lassen…



Niederlassung? Nein Danke!

Von Kranken und Kassen Posted on 22 Feb, 2015 08:33:29

Liebe niederlassungswillige Kolleginnen und Kollegen! Mir ist klar, dass ich mit dem folgenden Aufsatz etliche bereits etablierte Herrschaften verärgern werde. Jene niedergelassenen
Kassenärzte nämlich, die nicht mehr allzu weit vom Ruhestand entfernt sind und sehnlich darauf hoffen, ihre Praxis an Sie weiterverkaufen zu können. Der Verkaufserlös aus einer Praxis wird bei niedergelassenen Ärzten
als Teil der Altersversorgung einkalkuliert – da sind Mediziner nicht anders als andere Selbständige wie Handwerker, Rechtsanwälte oder Steuerberater. Und die Standespolitiker der Kassenärztlichen Vereinigungen („KV“)
dürften ebenfalls „not amused“ sein, denn ohne neu niedergelassene Kassensklaven würden sie überflüssig werden und mit ihnen der ganze monströse KV-Verwaltungsorganismus.

„Ärztebashing“ zurzeit „in“

Die Kassenärztliche Bundesvereinigung hat vor zirka einem Jahr eine Werbekampagne für niedergelassene Ärzte gestartet. Mit Fotos von Praxisinhabern und dem in großen Lettern
prangenden Spruch: „Ich arbeite für Ihr Leben gern!“ Ob dadurch die Wertschätzung der Ärzteschaft in der Bevölkerung gestiegen ist, sei dahingestellt. Es wird ja gerne über „die Ärzte“ gelästert.
Privat und in den Medien. „Ärztebashing“ ist eine Erscheinung des deutschen (ja: speziell des deutschen!) Zeitgeistes. Fragen Sie mal einen der zahlreichen bundesrepublikanischen Mediziner, der in die Schweiz ausgewandert
ist, um wie viel höher er die Lebensqualität dort schon allein deswegen empfindet, weil es noch einen respektvollen Umgang zwischen Ärzten und Patienten gibt und Verständnis dafür herrscht, dass der Doktor mehr als ein
schnöder 08/15-Dienstleister ist. Im eidgenössischen Hort der Seligen gibt’s keinen dringend angeforderten Hausbesuch nachts um halb drei wegen einer Zecke in der Wade, in dessen Verlauf sich herausstellt, dass der Patient
alkoholisiert und die Zecke nicht mehr als ein Schlammspritzer ist. „Macht ja nichts“, denkt sich hingegen deutscher Otto-Normalpatient, „geht doch auf Kasse“!

So manchem Dumm-Dreisten steht allerdings auch in Deutschland die Mehrheit der dankbaren Kassenpatienten gegenüber, die sich über den engagierten Einsatz ihrer Ärzte freuen.
Die Gründe, weswegen Sie dennoch die Finger von einer Kassenarztpraxis lassen sollten, sind tatsächlich wirtschaftliche:

Ist Ihnen klar, dass Sie als Kassenarzt auf der Ausgabenseite ein richtiger Unternehmer sind? Sie zahlen Gehälter für Ihre Mitarbeiter, Miete, die Putzfrau, Investitions- und
Wartungskosten in Ihre Praxisgeräte und die EDV, spezifische Selbstständigen-Versicherungen wie etwa die Haftpflicht, Berufsgenossenschaft für Ihre Helferinnen, Rechtsschutz, Praxisausfallversicherung, Tagegeldversicherung,
Berufsunfähigkeitsversicherung etc. etc.

Bezahlter Urlaub, Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, bezahlte Fortbildungen während der Arbeitszeit? Das gibt’s bei Selbständigen nicht!

Festes Gehalt, variable Abzüge

Ist Ihnen außerdem klar, dass Sie als Kassenarzt auf der Einnahmenseite für die Kassenpatienten de facto wie ein Angestellter behandelt werden? Sie erhalten allmonatlich eine
Abschlagszahlung von „Ihrer“ Kassenärztlichen Vereinigung und vierteljährlich einen zusätzlichen Betrag, der nach Quartalsabrechnung das ausgleicht, was Ihnen durch die Abschlagszahlungen zu wenig überwiesen
wurde. Die Gesamtsumme, die Sie im Quartal verdienen dürfen, steht von vornherein fest – so wie die Summe dreier Monatsgehälter für einen Angestellten. Bei Ihnen allerdings ist noch eine Korrektur nach unten möglich,
wenn die KV aus wie üblich nicht nachvollziehbaren Gründen die Honorierung zwischen den Berufsgruppen anders verteilt – und Sie bei denjenigen sind, für die „anders“ = „weniger“ gilt.

In diesem Modell als Kassenarzt übernehmen Sie für die Kassen das Morbiditätsrisiko, also das Risiko für die Krankheitskosten! Aber gibt es nicht mehr Geld, wenn mehr Menschen
krank sind, zum Beispiel wegen einer Grippewelle, werden Sie sich womöglich denken? Nein! Weil zwischen Kassen und Kassenärzten gilt, dass die Kassen ihre Honorarsummen an die weiter verteilende KV „mit befreiender
Wirkung“ zahlen, d.h.: mehr Arbeitsaufwand gibt eben nicht mehr Geld.

Das ist so, wie wenn Sie mit einem Handwerker einen Festbetrag für eine bestimmte Leistung aushandeln. Was immer auch beim Auftrag als nicht vorhersehbares Problem dazukommt
– Festbetrag bedeutet: Risiko und damit Kosten zu Lasten des Handwerkers. Wenn sich Handwerker auf Festbeträge einlassen, dann mit einem solch hohen Kostenvoranschlagsbetrag, dass sie trotz aller Unwägbarkeiten sicher nicht
draufzahlen. Und hier hinkt gleichzeitig der Vergleich: Die niedergelassene Ärzteschaft erhält für Ihren „Festbetrag“ so wenig, dass sie stets etwa 15 Prozent mehr Leistung erbringt, als sie von den gesetzlichen
Krankenkassen bezahlt bekommt. Arbeit für „umme“ ist deutscher Kassenarztalltag. Und das natürlich bei unverändert hundertprozentigem straf- und zivilrechtlichem Haftungsrisiko.

Haftungsrisiko mit Risiken

Apropos „Haftungsrisiko“. Das haben Sie auch noch sozialrechtlich, und zwar den Krankenkassen gegenüber. Wenn die Kasse XY meint, Ihre Verordnungen seien zu teuer,
dann fordert sie von Ihnen Geld zurück. Das nennt sich „Arzneimittelregress“. Denken Sie bloß nicht, solche Regresse seine rare Ausnahmen! Etwa jeder dritte Kassenarzt ist betroffen. Die Euro-Beträge, um die es
geht, bewegen sich oft genug im Zehntausenderbereich. Und selbst wenn es Ihnen gelingt, vor dem Sozialgericht den Regress abzuwehren oder zu mindern: Das Verfahren allein kostet Sie eine Menge Zeit und Nerven – es ist die
Hölle! Wiegen Sie sich bloß nicht in dem falschen Glauben, Regresse beträfen nur Ärzte, die Luxusmedizin betrieben. Luxusmedizin ist nämlich für die Kassen alles, was nach deren Meinung mehr ist als ausreichende (!)
Behandlung – und „ausreichend“ heißt: Note 4. Mit dem Ehrgeiz, Ihre Kassenpatienten gut (= Note 2) behandeln zu wollen, gehen Sie in der Kassenmedizin zugrunde.

Resultat: Auf der Einnahmenseite ist ein Kassenarzt ein Angestellter, der andauernd unbezahlte Überstunden leistet.

Auf der Ausgabenseite allerdings ist er richtig selbständig mit dem vollen unternehmerischen Risiko bis hin bis zu dem irrsinnigen Faktum, für die Arzneimittelkosten auf Ihren
Rezepten (nebenbei: auch für Physiotherapie etc.) finanziell einstehen zu müssen.

Versuchen Sie einmal, irgendeinen anderen Berufstätigen, der die Möglichkeit hat, sich selbständig zu machen, zu überreden, unter solchen Bedingungen einen eigenen Betrieb
zu eröffnen. Der an die Stirn tippende Finger ist Ihnen als gestische Antwort sicher.

Wenn Sie sich niederlassen wollen, sollten Sie sich erkundigen, wie es sich in der Realität lebt. Bitten Sie einen selbständigen Kollegen Ihrer Zunft um eine ehrliche Auskunft.
Der Befragte sollte allerdings mindestens schon acht Jahre niedergelassen sein, damit er über einschlägige Erfahrungen mit dem Fiskus nach dem Ende der ersten Jahre mit den Abschreibungen in die Anlaufinvestitionen bei Niederlassung
verfügt.

Er sollte so weit von Ihrem avisierten Praxissitz entfernt sein, dass er Sie – falls er jünger ist – nicht als möglichen Konkurrenten sieht, oder – falls er älter ist – nicht
als mögliches Opfer, dem er seinen Kassenarztsitz verkaufen kann.

Auf keinen Fall trauen sollten Sie der Kassenärztlichen Vereinigung beziehungsweise Berufsverbänden niedergelassener Ärzte. Denn beide sind für den Erhalt der eigenen Existenz
darauf angewiesen, dass es weitere Opfer gibt, die in die Kassenarzt-Niederlassungsfalle tappen.

Lieber einsam als gemeinsam

Falls Sie sich dennoch entschließen, Kassenarzt zu werden: Praktizieren Sie in einer Einzelpraxis! In einer Gemeinschaftspraxis sind Sie unwiderruflich Gefangener des Systems.
Ein Ausstieg in Richtung Privatpraxis oder die Flucht ins Ausland ist erfahrungsgemäß durch die Partnerschaftsverträge unmöglich oder geht mit so vielen rechtlichen und zwischenmenschlichen Blessuren einher, dass es einfacher
ist, im maroden deutschen Kassenarztsystem zu verbleiben. Irgend ein Kollege, der aus einer Gemeinschaftspraxis ausgestiegen ist, wird Ihnen bestätigen, dass die „Scheidungsrate“ der Praxispartner noch höher als
die in reellen Ehen ist.

Wenn Sie sich niederlassen möchten, dann versuchen Sie folgende Strategie:

Erwerben Sie Fähigkeiten und Zusatzqualifikationen, über die die meisten Ihrer Fachkollegen nicht verfügen, die aber gebraucht werden.

Dann lassen Sie sich als Privatarzt in Einzelpraxis in einer Gegend nieder, in der Ihre Fachrichtung unterrepräsentiert ist. Dass solche Standorte immer mehr werden, ist eigentlich
nicht verwunderlich!



Tolles „Versorgungsstrukturnetz“

Von Kranken und Kassen Posted on 25 Jan, 2015 07:06:45

Sie haben es sicher schon den Medien
entnommen: Minister Gröhe bringt ein neues Gesetz für
Kassenpatienten auf den Weg. Das Versorgungsstrukturgesetz. Inhalt
unter anderem: Termingarantie für notwendige Behandlungen beim
Facharzt innerhalb von vier Wochen, dazu Einführung von
Terminvergabestellen. Was für eine Ausgeburt an intellektueller
Leistung sich hinter diesem Gesetzesvorhaben verbirgt, will ich Ihnen
an einem Beispiel verdeutlichen.

Ein kühner Plan

Stellen Sie sich vor, die Regierung
befürchtet, dass die Kosten für Brot und Semmeln aus dem Ruder
laufen. Sie hat deswegen schon seit Jahren festgelegt: Der Mehlpreis
wird fixiert und damit die Bevölkerung nicht zu dick wird, bekommt
jeder Bäcker von vornherein nur eine bestimmte, recht knappe Menge
Mehl zugeteilt, um seine Kunden zu versorgen. Auch die Preise für
Brötchen und sonstigen Leckereien des Bäckers sind fest vorgegeben.
Es gibt Bezugskarten für die Bevölkerung, die eine Art
Ersatzwährung darstellen. Für eine Bezugskarte erhält der Kunde
eine Semmel, für fünf ein Brot – so in der Art. Eigene
Preisgestaltung ist den Bäckern damit nicht erlaubt. Und mehr als
eine bestimmte Menge an Bezugskarten darf der Bäcker pro Vierteljahr
auf keinen Fall annehmen. So hat es die Regierung beschlossen –
gängige Praxis.

Unsere Opas und Uromas könnten sich
erinnern: Solch ein System gab’s tatsächlich während der Mangelzeit
im Zweiten Weltkrieg und den elend schlechten Jahren anschließend.
Sogar der Begriff stimmt: „Bezugskarten“.

Natürlich kann in unserem fiktiven
Beispiel jeder rationierte Bäcker Mehl dazukaufen, falls er
berechtigte Zweifel daran hat, dass zu wenig Rohstoff da ist, um die
Bevölkerung zu versorgen. Die zugewiesenen Mengen sind nämlich in
der Tat sehr knapp kalkuliert. Um auch nur die Stammkundschaft
ausreichend zu versorgen, bräuchte er zirka fünfzehn Prozent mehr
Mehl. Das mit dem Zukaufen ist aber so eine verzwickte Sache:
Schließlich muss der Handwerker die zusätzliche Dosis aus der
eigenen Tasche bezahlen. Mehreinnahmen hat er durch den Zukauf
allerdings nicht, denn für die Zahl an Bezugskarten, die er annehmen
darf, reicht die staatlich zugewiesene Menge Mehl aus. Nicht nur,
dass ein mit der hungernden Bevölkerung mitleidiger Bäcker das
zusätzliche Mehl selber bezahlen „dürfte“! Er müsste die
zusätzlich gebackenen Teigwaren auch noch verschenken.

Lange Schlangen, murrendes Volk

Die Folge des Systems: die Schlangen
vor den Bäckereien werden immer länger, das Volk beginnt zu murren.

Nun hat ganz ohne Vorwarnung der
Ernährungsminister eine geniale Idee! Es gibt erwiesenermaßen
Hotels mit eigener Bäckerei für den internen Bedarf. „Wenn
Bäcker nicht mehr genug eigene Semmeln für die Bevölkerung backen
erlauben wir Hotelbäckereien, die Bevölkerung mitzuversorgen.
Sobald die Schlange vor einer Bäckerei mehr als fünf Personen
zählt, dürfen Hotelbäckereien Bezugskarten von der Bevölkerung
annehmen! Die Bäckereien im Ort müssen das Mehl aus ihren eigenen,
streng rationierten Vorräten an die Hotels abgeben“. Der
Minister ist mit sich selbst überaus zufrieden und macht sich daran,
das Hirngespinst in Gesetzesform zu gießen.

Dass es sich beim geistigen Konstrukt
des gewählten Volksvertreters um eine Milchmädchenrechnung handelt,
ist jedem Kleinkind klar: Das Mehl wird schließlich durch die
Umverteilung weg vom Bäckermeister Schmidt und hin zur Hotelbäckerei
XY nicht mehr.
So, jetzt lösen wir mal diese schöne
Parabel auf:

– Die Bäcker sind die niedergelassenen
Kassenärzte, die Hotelbäckereien die Krankenhausambulanzen.

– Die Rationierung heißt
„Honorarbudget“: Jeder Arzt bekommt im Quartal nur einen
bestimmten Kassenumsatz genehmigt. Bei Überschreitung hat er Pech.
Bereits jetzt arbeiten die Kassenärzte ungefähr fünfzehn Prozent
mehr, als sie bezahlt bekommen. Das heißt: sie schenken fünfzehn
Prozent ihrer Arbeitsleistung den Patienten und entlasten damit die
Finanzen der Gesetzlichen Krankenkassen (wobei – nebenbei bemerkt –
auch die fünfzehn Prozent verschenkte Arbeit mit hundert Prozent
Personalkosten und hundert Prozent straf- und haftungsrechtlichem
Risiko einhergehen). Um also im Bild zu bleiben: die Ärzte verhalten
sich schon seit Jahren wie Bäcker, die aus der eigenen Tasche Mehl
dazukaufen, um daraus gebackene Semmeln zu verschenken.

– Die Bezugskarte nennt sich im
Gesundheitswesen „Elektronische Versichertenkarte“, kurz
EGK. Das System dahinter ist allerdings raffinierter als das mit den
Bezugskarten. Sobald der „Kunde“ seine Bezugskarten für
die Bäckerei verbraucht hat, besteht Klarheit: er kann keine Karten
mehr abgeben und somit auch keine Sachleistung mehr beziehen. Die EGK
hingegen gibt keine Auskunft darüber, wann der „Kunde“
Patient sein Quantum an ärztlichen Leistungen aufgebraucht hat.
Selbst der Arzt weiß nicht, wann er im übertragenen Sinne
Überstunden macht. Er kann es allenfalls abschätzen – und
gegebenenfalls am Quartalsende die Praxis zusperren, wenn er das
Gefühl hat, im „roten Bereich“ zu operieren und seine Leistung
wegen Budgetüberschreitung zu verschenken.

– Die Schlange vor der Bäckerei
korreliert mit der Wartezeit auf einen Facharzttermin. Die
anstehenden fünf Personen entsprechen der geplanten Termingarantie
von spätestens vier Wochen beim Facharzt. Falls der Patient
innerhalb von vier Wochen keinen Facharzttermin bekommt, soll er die
Krankenhausambulanz aufsuchen dürfen.

– Der „schlaue“ Minister heißt
Herrmann Gröhe und hat sich mit Gesundheitspolitik ganz und gar
nicht befasst, bis „Mutti“ beschloss, dass der Bub jetzt
eben lieber Gesundheitsminister wird, bevor er auf der Straße sitzt.

Also was wird es bringen, im
rationierten System Geld von den niedergelassenen Kassenärzten weg
und hin in die Klinikambulanzen zu verteilen, bei gleich bleibender
Geldmenge? Richtig: Nichts!

Kleinere Brötchen

Was wird das geplante Gesetz konkret
bewirken?

– Ein Teil der Bäcker wird kleinere
Brötchen backen, um die Schlange vor der Ladentür dadurch schneller
zu versorgen. Dadurch reicht das Mehl für mehr Semmeln, die aber
weniger satt machen, weil sie eben kleiner sind. Hauptsache, jeder
kriegt seinen Facharzttermin innerhalb von vier Wochen. Welche
Leistung er indes erfährt, steht auf einem anderen Blatt. Beispiel:
„Ja, Herr Meier, an sich bräuchte es eine Magenspiegelung.
Dafür habe ich jetzt aber keine Zeit. Aber ich plane Sie ein, bitte
stellen Sie sich wieder am Ende der Schlange an“. Wobei sich das
symbolische Ende der Menschen-Ansammlung im nächsten Quartal
befindet. Dafür gibt’s ja wieder eine neue Mehlzuteilung, sprich:
ein neues Honorarbudget…

– Ein Teil der Patienten wird
tatsächlich im Krankenhaus landen, wobei diese für zusätzliche
ambulante Untersuchungen und Behandlungen leider gar nicht
ausgestattet sind, denn – o Wunder! – auch in den Kliniken herrscht
inzwischen Ärztemangel. Wartezeiten in der Klinikambulanz –
wesentlich länger als in den Wartezimmern der Praxen – sind
vorhersehbar, und der „Bäckermeister“ Chefarzt in der Klinik
wird alsbald klagen: „Vom Wert einer Bezugsmarke können nicht
einmal meine Lehrlinge bezahlt werden!“ Höchstens für die
Facharzt-Bäckermeister „ums Eck“ soll also das Geld reichen, für
die Facharzt-Azubis, also die Assistenzärzte in den Kliniken,
hingegen nicht?!

O Herr, schmeiß Tonnen Hirn vom Himmel
auf Berlin und lass Minister Gröhe zumindest in diesem Moment auf
der Straße sitzen!



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