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Das kranke Gesundheitssystem

Anregung und Kritik erwünscht

Als steter Streiter gegen ein in meinen Augen ungerechtes Gesundheitssystem, dessen Gewinner die Krankenkassen und dessen bedauerliche Opfer die Patienten sind, freue ich mich über jede Form von Zustimmung, Ratschlag, Anregung oder Kritik. Ich wünsche mir nur, dass bei aller nachvollziehbarer Emotion der gute Ton in schriftlichen Beiträgen die erste Geige spielt.

Dr. Christian Nunhofer

Sesselfurzer und Schwafelköpfe

Von Kranken und Kassen Posted on 25 Nov, 2017 06:24:50

Wie geht Standespolitik? Der bffk macht’s vor! Am 18. November fand die Vollversammlung des Bundesverbands für freie Kammern, kurz „bffk“, in Kassel statt. Na, dachte sich unsereiner, siehste dir mal an, wie Standespolitik funktioniert, wenn in einem Verband zwar schon ein paar Ärzte, hauptsächlich aber Handwerker und Gewerbetreibende organisiert sind.

Wie es bei ärztlichen Berufsverbänden zugeht weiß ich ja noch hinlänglich von früheren Zeiten: Lamentos und Analysen über die politischen Unzulänglichkeiten im Hier und Jetzt, die Ausweglosigkeit des KV-Systems und die fehlende Unterstützung durch die Kammern, die dortigen sesselfurzenden Funktionäre mit den Einstecktüchlein, die in allererster Linie aufs eigene Wohl bedacht sind, insbesondere aber keinerlei Interesse daran haben, die Interessen ihrer Zwangsmitglieder ernsthaft zu vertreten, sondern eher noch den Gegnern der Ärzteschaft zuarbeiten – zur Mehrung des eigenen Funktionärswohls, versteht sich.

Alles sinnlos, reine Zeitverschwendung

Unterstützung von Klagen, Sammeln von Geld für hochwertige Juristen? Alles sinnlos, reine Zeitverschwendung. Die ärztlichen Bedenkenträger erklären einem ganz genau, warum es besser ist, sich als Minderheit in die festbetonierten Institutionen einzubringen, um dort nichts zu erreichen, und ansonsten folgenlos weiter zu lamentieren. Ganz unfaustisch nach dem Motto: „Nie sind der Worte genug gewechselt, laßt keinesfalls uns Taten sehn.“ Viele Wortmeldungen, etliche Anträge, und nach vielen Stunden ärztlicher Palaverrunden gilt wieder einmal mehr Fausts Eröffnungsmonolog: „Habe nun, ach! … Medizin,…durchaus studiert, mit heißem Bemühn. Da steh ich nun, ich armer Tor! Und bin so klug als wie zuvor.“

Und beim bffk? Kurze, unvollständige Übersicht:

1. Kurzes Referat des Präses der IHK Hamburg: Wie ist es uns gelungen, die IHK Hamburg zu übernehmen? Was haben wir schon geändert? (z.B. die Beiträge halbiert). Wenn die IHK die Interessen freier Berufe vertritt, ist es ein Widerspruch, wenn die Mitarbeiter der Kammer meinen, ihre Jobs seien leistungsunabhängig sakrosankt. „Gnadenlose Transparenz!“ Keine Selbstbedienung mehr mit horrenden Zahlungen an Funktionäre!

2. Info, dass auch einige kleine Berufsverbände dem bffk beigetreten sind, z.B. die Fotografen. (Warum nicht auch der BFAV oder die FÄ, hab ich mich zum x-ten Male gefragt.)

3. Der recht kleine bffk führt für die Mitglieder Klagen vor den Verwaltungsgerichten. Derzeit laufen ca. 300 bis 400 Verfahren. Die Prozesse werden überwiegend gewonnen. Ansonsten geht’s in die nächste Instanz („Da wurde unsere Argumentation einfach nicht verstanden! Das ist schon klar, das Verwaltungsgericht X sieht es immer noch als quasi persönlichen Affront, eine Kammer zu verklagen! Der Richter Y ist auch eifrig bei Kammertagen präsent! Vielleicht wird es das Oberverwaltungsgericht anders sehen!)

4. Die Klage gegen die Zwangsmitgliedschaft in Kammern vor dem Bundesverfassungsgericht wurde verloren. Allerdings begründet das Urteil nicht, dass sich aus der Notwendigkeit der Kammermitgliedschaft auch die Notwendigkeit von Kammerbeiträgen ergibt. Folglich geht der bffk in die nächste Instanz, das ist der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte. Die juristische Vertretung übernimmt Professor B. Kempen, Lehrstuhl für Völkerrecht und ausländisches öffentliches Recht an der Universität zu Köln (und nebenbei noch Präsident des Deutschen Hochschulverbandes).

5. Große Diskussionen? Keine. Eine Nachfrage zu den genannten Kosten des Verfahrens vor dem EGM, die sich im niederen fünfstelligen Bereich bewegen. Es werden seitens des Vorstands keine Finanzierungsschwierigkeiten gesehen, „ansonsten weiß ich, wo ich anklopfen muss“. Keine Frage, dass sich des Vorgangs ein ausgewiesener Spitzenjurist mit Expertise anzunehmen hat. „Da haben wir am Anfang unserer Vereinstätigkeit Lehrgeld bezahlt: Sie erinnern sich noch, Herr Meier. Ein Rechtsanwalt, der mit der Materie nicht hundert prozentig vertraut ist, macht zwar auch nicht alles falsch – aber man hat keine Chance.“

Zu matt um sich zu wehren

Ach ja, Handwerker und Gewerbetreibende: Mit beiden Beinen im Leben und mit dem Kopf im Hier und Jetzt. Und Ärzte: die Gynäkologen, Orthopäden, Urologen, Dermatologen, Augenärzte und HNO’s führen ihre Kassenpraxen weiter und merken wahrscheinlich überwiegend nicht einmal, dass sie im „Kassengeschäft“ laut Neubauer-Gutachten draufzahlen.

Die wundern sich bloß, warum so wenig überbleibt, sind aber zu matt, um die Frage nach dem „Warum“ abzuklären und erst recht, sich dagegen zu wehren. Welcher Ärzteverband bietet vergleichbares Engagement für seine Mitglieder? Mir fällt leider nur der – relativ große, und nur für Klinikärzte aktive – Marburger Bund ein. Für uns Niedergelassene sieht’s zappenduster aus.

Es braucht dringend einen standespolitischen Neuanfang in der niedergelassenen Ärzteschaft – aber bitte nicht mit alten dauerpostenden Schwafelköpfen vom BFAV und Bedenkenträgern von der FÄ! Sonst ist die Fortschreibung des Stillstands allen wortreichen Dementis zum Trotz ungeschriebenes Programm.



Brief an Berlin: Wer ist Wir?

Von Kranken und Kassen Posted on 03 Nov, 2017 06:09:37

Sehr geehrter Herr Generalsekretär Dr. Peter Tauber,

die Bundestags- und auch die Niedersachsenwahl liegen hinter uns. Auch mit etwas Zeitdistanz ist der Niedergang der CDU in den Abstimmungsergebnissen unübersehbar. Am Abend der Bundestagswahl hatte die Bundeskanzlerin mit Blick auf das desaströse Wahlergebnis der Union erklärt, Sie wüsste nicht, was anders zu machen sei.

Politisch gab es für mich jahrzehntelang – gleich bei welcher Wahl – nur eine Partei: die CSU. Mitglied (wenn auch nur passiv) seit den Zeiten von Franz Josef Strauß selig, der mit echtem Konservativismus Bayern in der Leistungsbilanz, aber auch in der Qualität der schulischen Leistungen an die Spitze aller Bundesländer gesetzt hat.

Niemand wird seine Schlitzohrigkeit ernsthaft bestreiten, aber auch niemand sollte ernsthaft in Zweifel ziehen, dass FJS immer das Wohl der Bevölkerung im Auge hatte, sich stets mit ganzem Herzen erfolgreich eingesetzt hat für ein Land, in dem wir gut und gerne gelebt haben.

Aus der CSU bin ich schon vor Jahren ausgetreten. In meinem Austrittschreiben habe ich dem damaligen Generalsekretär Dobrindt erläutert, weswegen diese Partei weder mehr christlich noch sozial ist.

Seit 25 Jahren bin ich niedergelassen, seit vier Jahren habe ich aus Protest gegen die Zwangseinfüh-rung der elektronischen Gesundheitskarte EGK die Kassenzulassung zurückgegeben. Warum: Weil keine elektronische Kommunikation sicher ist, wie das Hacken der Gesundheitsdaten sämtlicher Australier vor einigen Monaten „dank“ des dortigen EGK-Systems bewiesen hat. Für mich steht das Arztgeheimnis immer noch höher als das Gewinninteresse der IT-Industrie.

Bin ich technikfeindlich? Sie werden wenige neurologisch-psychiatrische Praxen finden, die mit Medizintechnik so ausgestattet sind wie die meine. Nebenbei: die Rückgabe der Kassenzulassung hat mir ein solch ordentliches Umsatzplus beschert, so dass ich weiterhin als Alleinverdiener meine Familie mit sechs Kinder, die meine Frau und ich zusammen haben – wir sind, wohlgemerkt, keine „Patchwork“-Familie – „durchfüttern“ kann.

In den geschlossenen Ärzteforen wurde vor der Bundestagswahl eifrig diskutiert, welche Partei denn nun für niedergelassene Ärzte die richtige sei. Dabei gab es nur zwei ernsthafte Alternativen in den Augen der Diskutanten: die FDP oder die AfD. Die Union hat keine Rolle gespielt. Warum, werde ich Ihnen erläutern.

Für mich persönlich ist die FDP seit der vorletzten Legislatur keine wählbare Partei mehr, und die AfD keine Alternative, solange sie sich definitiv nicht vom ekelbraunen rechten Rand lossagt. Der Wahl-o-Mat hat mir persönlich zur Union geraten. Aber wirklich Union wählen? Als niedergelassener Arzt, der sich seinen Patienten verpflichtet fühlt?

Vier Jahre Gröhe als Gesundheitsminister zeigen, wohin die Reise nach Unionsvorstellungen im Gesundheitswesen gehen soll:

1. Wertschöpfung eröffnen für die IT-Industrie. Das Patientengeheimnis ist lästige Marginalie am Rande. Die Vernetzung des Gesundheitswesens predigen und Gesetze schaffen zur Telematik-Infrastruktur, selbst wenn diese Gesetze mangels technischem know how gar nicht umsetzbar sind: das ist patientenverachtende Unions-Linie.

2. Die privaten Versicherungskonzerne schonen und zugleich die Beihilfen mit einer Gebührenordnungs-Reform beglücken, deren Inhalt sein soll: Nach 22 Jahren ohne Inflationsausgleich soll dieses Defizit zu Lasten der Ärzteschaft fixiert, gemäß neuem Text allenfalls drei Jahre lang an die voraussichtliche Teuerungsrate angepasst werden (auf drei Jahre ca. sechs Prozent Verbesserung – aber nur, falls die Versicherer damit nicht überfordert sind).

Klug hat sich Herr Gröhe die Verhandlungspartner auf Ärzteseite dazu ausgewählt: Die Herren von der Bundesärztekammer stehen doch (via der Tochtergesellschaft DÄV) alle auf der Lohnliste des AXA-Konzerns, eines der großen privaten Krankenversicherungsunternehmen. Bis vor einem Jahr hat selbige Herren auch noch die Allianz-Versicherung als „Beiräte“ mit finanziellen Zuwendungen bedacht. Als dieser Fisch vom Kopf her nun doch zu streng roch, hat sich die „Allianz“ entschlossen, auf den Ärztebeirat kurzerhand zu verzichten.

Wie Sie wissen, hat Politik hat die Aufgabe, einen Interessensausgleich zwischen verschiedenen Gruppen der Bevölkerung herzustellen. Wie solch ein Interessensausgleich aussehen müsste bei einer Gebührenordnung, die 22 Jahre alt ist, dazu geführt hat, dass über die Jahre seit 1996 gerechnet jeder Arzt für jede Privatrechnung durch die inflationsbedingte Entwertung der PKV und auch den Beihilfen einen unfreiwilligen Rabatt von 16,0 Prozent (Stand 31.12.2016) und aktuell von 33,6 Prozent gewährt, liegt auf der Hand.

Der Verordnungsgeber für diese Gebührenordnung ist der Bundesgesundheitsminister. Herr Gröhe setzt aber eine neue, faire GOÄ nicht in Kraft. Er gibt statt dessen „Verhandlungspartnern“ aus privater Versicherungswirtschaft und Bundesärztekammer vor, ein ausgearbeitetes Gebührenwerk vorgelegt zu erhalten, das gekaufte Ärztevertreter (sh. oben) im Konsens mit den Versicherern, von denen sie bezahlt werden, ausarbeiten sollen.

Das klingt klug nach Konsensfindung zwischen Vertragsparteien. Allerdings ist kein Vertrag zu finden, sondern schlicht den Interessen der Ärzteschaft Rechnung zu tragen, nachdem 22 Jahre lang einseitig der Ärzteschaft ein finanzielles Sonderopfer zum Nutze der Versicherungskonzerne und der staatlichen Beihilfen abverlangt wurde, also 22 Jahre lang einseitig den Interessen der Versicherer und der Beihilfen Rechnung getragen wurde. Herr Gröhe versucht mit den Tricks eines Winkeladvokaten, den Ärzten den politisch geschuldeten Interessensausgleich schuldig zu bleiben.

Übrigens: Anstieg der Inflation seit Inkrafttreten der GOÄ 1996 um 33,6 Prozent, Anstieg der Bezüge der Bundestagsabgeordneten um 51,7 Prozent. Unbekannt ist, um wie viel Prozent die Managerbezüge der Versicherungsunternehmen in diesem Zeitraum gestiegen sind. Schätzungen sprechen von 600 Prozent. Wenn Sie konkrete Zahlen haben, wäre ich Ihnen um Aufklärung dankbar.

Ein Thema, das inzwischen fast vollkommen untergeht, ist das der Verantwortung. Welche persönliche Verantwortung tragen die Manager der Versicherungskonzerne? Welche persönliche Verantwortung lastet auf den Abgeordneten im Bundestag, die eine derartige Steigerung von deren Bezüge seit 1996 rechtfertigt? Die Last der Verantwortung beim Abstimmungsverhalten via Fraktionszwang?

Ja, es gibt noch eine Institution, die sich für die permanente persönliche Verantwortung der niedergelassenen Ärzteschaft interessiert: die Haftpflichtversicherung. Die Haftpflichtversicherer wissen, dass es sich beim Arzt um keinen Beruf wie jeden anderen handelt und sie setzen dieses Wissen um die besonders hohe ärztliche Verantwortung geldwert um. An den Haftpflichtprämien lasst sich das Maß an persönlicher Verantwortung ablesen: Wie hoch sind die Haftpflichtprämien für Bundestagsabgeordnete und die leitenden Angestellten der Konzerne, gemeinhin „Manager“ genannt? Ich bitte um Auskunft.

Was meinen Sie: Wählen niedergelassene Ärzte die Union? Oder machen sie aus den Sprechzimmern heraus Stimmung gegen die CDU/CSU?

– Der damalige Bundesgesundheitsminister Horst Seehofer hat mit dem SGB V ein Regelwerk geschaffen, das die Leistungserbringer (der Ausdruck „Ärzte“ ist im gesetzlichen Krankenkassenjargon ja abgeschafft worden) am finanziellen Krankheitsrisiko der Patienten beteiligt. Angeblich werden nach neuesten Verlautbarungen der Kassenärztlichen Bundesvereinigung nur noch zehn Prozent der Arztleistungen im GKV-Bereich wegen Budgetüberschreitung nicht bezahlt; mit ist eine Quote von 15 Prozent geläufig.

Dazu kommt: Nach dem Gutachten im Auftrag der KV Bayern des Gesundheitsökonomen Professor Günter Neubauer, München, betreibt der Durchschnitt der Fachärzte in den Disziplinen Gynäkologie, Orthopädie, Urologie, Dermatologie, Augenheilkunde und HNO seine Kassenpraxis defizitär.

Dabei geben die gesetzlichen Krankenkassen im Durchschnitt fast ebenso viel aus pro Versichertem und Jahr wie die Privatversicherer. Die nachfolgenden Zahlen stammen von Ellis Huber, der nun bestimmt nicht verdächtig ist allzu großer Sympathien für niedergelassene Ärzte:

Ausgaben der Krankenversicherer 2015 pro Versichertem (laut Ellis Huber):
– Gesetzliche Krankenkassen: 2.905 €
– Private Versicherer: 2.950 €

Unterschied: niedergelassene Ärzte müssen aus Budgetgründen GKV-Patienten vermehrt stationär einweisen. Wirtschaftliches Handeln gibt es eben nicht nur aus Kassensicht. Dass das Resultat in der Summe für Kassenpatienten unwirtschaftlich und sogar gefährlich (Infektionsrisiko in den Klinken) ist, ist evident.

Was meinen Sie: Wählen niedergelassene Ärzte die Union? Oder machen sie aus den Sprechzimmern heraus Stimmung gegen die CDU/CSU?

– Ärztemangel: Das Thema ist in der Bundespolitik noch gar nicht angekommen – nur die Bürgermeister auf dem Land jammern, weil der Dorfarzt in Rente geht und kein Nachfolger zu finden ist. Monatelanges Warten auf den Facharzttermin: Gibt es etwa mehr Termine, wenn Terminservicestellen geschaffen werden?

Wer hat’s verschuldet? Wer hat vorübergehend so viele Medzinstudienplätze abgebaut, dass es in Gesamtdeutschland tausende weniger Medizinstudenten gegeben hat als zuvor allein in Deutschland West – der „schwarzen Null“ zuliebe? Die Politik, wobei seit der Union – abgesehen von einer relativen kurzen Zeitspanne der Kanzlerschaft Schröders – die Union federführend in der Regierung war.

Und wer soll es jetzt richten? Die Kassenärztlichen Vereinigungen mit Förderprogrammen von zigtausenden Euro für jede einzelne Niederlassung auf dem Land.

a) Warum sollen die Kassenärzte mit Geld aus ihrem KV-Topf heilen, was die Politik beschädigt hat?
b) Was nützen Förderprogramme und Zuschüsse, wenn die Arbeitsbedingungen des niedergelassenen Arztes in einem dirigistischen und ungerechten System (sh. GOÄ, Budgetüberschreitungen, Medikamenten- und sonstige Regresse) schlicht repressiv und unwürdig sind?
c) Was meinen Sie wohl, was resultieren wird aus Stipendiaten, die sich jetzt zu Studienbeginn auf eine Berufsausübung als Landarzt verpflichten? Keiner dieser Ärmsten kennt die vielen Facetten der Medizin.

Unsereiner wollte nachweisbar vom vierten Lebensjahr – ebenso wie mein Sandkastenfreund – bis zum achten Semester Chirurg werden – dann kamen die „Nervenfächer“, die mich fasziniert haben; der Sandkastenfreund ist übrigens Chirurg. Ich prophezeie Ihnen: Es werden mit diesen Stipendien viele frustrierte Landärzte herangezogen, die während des Studiums entdecken, dass sie viel lieber Chirurgen, Dermatologen, Pathologen oder Mikrobiologen werden würden.

Glauben Sie, dass diese ganze gesundheitspolitische Misswirtschaft, dieses Verdrängen der Probleme und der Versuch Ihrer Partei, auch die ambulante Medizin zu einem lukrativen Geschäftsfeld für geldgeile Manager in der IT-Branche und von Gesundheitskonzernen zu machen, den niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten verborgen bleibt? Nochmal meine Frage:

Was meinen Sie: Wählen niedergelassene Ärzte die Union? Oder machen sie aus den Sprechzimmern heraus Stimmung gegen die CDU/CSU?

Sollten Sie sich bemüßigt fühlen, zu den Kassenarztthemen dieses Briefes zu antworten, und Ihnen für diese Antwort der gängige Politikerallgemeinplatz in den Sinn kommen: „Es liegt ein Versagen der kassenärztlichen Selbstverwaltung vor“, dann darf ich Ihnen empfehlen, die KVen schnellstmöglich abzuschaffen. Denn die Kassenärztlichen Vereinigungen sind überflüssig und haben nur eine wirkliche Funktion: die der Standardausrede für das langjährige Versagen der Berufspolitiker in der Gesundheitspolitik, jenes Versagen, das die KVen – der Politik weisungsgebunden – schlicht umzusetzen haben.

Soweit zur Ärzteschaft. Ganz allgemein gilt:Wenn Frau Merkel offenkundig meint, den Mittelstand evident sinngemäß definieren zu müssen als „Betriebe, die für Politiker Aufsichtsrats- oder Managerposten bieten“, sich aber für das Gros derjenigen, die in diesem Land aber die Arbeitsplätze zur Verfügung stellen, nicht interessiert, wird es mit der Union weiter bergab gehen.

Der Frust über die Union ist nicht nur bei den Ärzten groß, sondern genauso bei den kleinen Handwerkern, Gewerbetreibenden und anderen Selbständigen – also Ihrem ehemals typischen Wählerklientel, die unverändert den Soli bezahlen, der kalten Steuerprogression zum Opfer fallen und – im Unterschied zu den Großkonzernen, in deren Managerkreisen Frau Bundeskanzlerin bevorzugt verkehrt und wohin sie wohlfeil ihre Kanzleramtsminister von Klaeden und Pofalla als Spitzenverdiener weitervermittelt – die volle Last des EEG mit dem teuren Strompreis zu spüren bekommen.

Wer ist nun „Wir“ in diesem Land, in dem WIR gut und gerne leben?: Eine abgehobene Elite, die von der Union fortwährend bedient wird, wie die Umverteilung des Vermögens von unten nach oben deutlich macht, abzulesen am Gini-Index. Allerdings: diese Elite bringt Ihrer Partei nicht genug Wählerstimmen. Und eine glänzende Bilanz in der Außenpolitik vermag die innenpolitische Verachtung der Union für diejenigen, die redlich arbeiten, nicht mehr zu überdecken.

Jammert da einer auf hohem Niveau? Bitte bedenken Sie: Auf mich treffen allenfalls die Analysen zur GOÄ-Reform zu, nicht jedoch zur Kassenmedizin.

Eine persönliche Information zum Schluss: Meine älteste Tochter wird im nächsten Jahr ihr Medizinstudium im EU-Ausland beenden. Sie wird als Ärztin arbeiten – aber voraussichtlich nicht in Deutschland. Denn ihr ist klar: Für einen Arzt bietet Deutschland keine Perspektive mehr, in dem man gut und gerne lebt.
Mit freundlichen Grüßen

Dr. Christian Nunhofer



Angie, Elektronik und Datenklau

Von Kranken und Kassen Posted on 10 Jul, 2017 10:23:18

Das war wirklich eine interessante Woche: Frau Bundeskanzlerin meinen, sich in ihrer allwöchentlichen Videobotschaft explizit für die weitere Einführung und Ausweitung der Funktionen der Elektronischen Gesundheitskarte „EGK“ aussprechen zu müssen (1), derweil just unter Verwendung der dortigen EGK die Gesundheitsdaten sämtlicher Australier gehackt und im Dark Net zum Verkauf angeboten werden (2).

Schreibste mal der Kanzlerin…

Denkt sich unsereiner: Schreibste mal der Frau Kanzlerin einen Brief und fragst nach, wie sie sich das mit der Sicherheit der Versichertendaten im Netz weiter vorstellt: Extranet für Patientendaten, das der Staat bezahlt? Alle Rechner mit Patientendaten offline? Und falls beides nein: zahlt dann der Staat Entschädigung, wenn er schon das Online-Stellen von Patientendaten per Gesetz erzwingt, aber die Karriere von Lieschen Müller perdu ist, weil der künftige Arbeitgeber dank der geklauten Gesundheitsdaten schon vorher weiß, dass sie zuckerkrank ist und daher das arme Lieschen nicht einstellt?

Hier der Brief
10.07.2017
Dr. Chr. Nunhofer, 92318 Neumarkt/OPf.
Bundeskanzleramt
Bundeskanzlerin
Dr. Angela Merkel
Willy-Brandt-Straße 1
10557 Berlin

nachrichtlich:
– Redaktion „frontal 21“, ZDF
– Redaktion „Der SPIEGEL“, Hamburg
– Blog „Das kranke Gesundheitssystem“

Fragen zur online-Sicherheit der Versichertendaten im Gesundheitssystem

Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin,

in Ihrer aktuellen Videobotschaft sprechen Sie sich explizit aus für die weitere Einführung der Elektronischen Gesundheitskarte und die Konsequenzen, die das E-Health-Gesetz mit sich bringt.

Sicherlich haben Sie und Ihre Mitarbeiter auch die Meldung zur Kenntnis genommen, der zufolge im Dark Net sämtliche Gesundheitsdaten der Bevölkerung Australiens verfügbar sind, „nutzbar“ gemacht über die australische „Medicare Card“, die unserer Elektronischen Gesundheitskarte entspricht. (Quelle: Meldung des „The Sydney Morning Herald“ vom 04. des Monats: „Medicare card details of every Australian up for sale on the dark web“)

Gewiss sind wir uns einig, dass die Preisgabe von Erkrankungen und damit der intimsten Geheimnisse, die ein Mensch hat, mit zu den massivsten Verletzungen der Persönlichkeitsrechte gehört, die vorstellbar ist. Die Konsequenzen in Australien sind absehbar: Manch eine Stellenbewerbung wird scheitern, weil der potentielle Arbeitgeber über Erkrankungen des Kandidaten informiert ist, von denen er nicht wissen sollte. Manch eine Versicherungspolice wird nicht zustande kommen, weil der Versicherer über Vorerkrankungen des Versicherers in spe nun Bescheid weiß, auch wenn diese weit zurück liegen, dem Versicherer aber das Rezidivrisiko zu hoch erscheint, etc. pp.

Eine absolut sichere Abschirmung gegen Datendiebstahl gibt es nicht. Das können Ihnen nicht nur der CCC, sondern bestimmt auch Regierungsstellen wie der Verfassungsschutz bestätigen. Das Wettrennen zwischen Verschlüsselungsspezialisten und Hackern wird immer offen sein. Das Interesse an Gesundheitsdaten als dem „Gold der Zukunft“ für Handel und Gewerbe, Versicherungen, große Arbeitgeber etc. wird nie erliegen.

Erinnern darf ich außerdem an die globale Virusattacke im Mai, die in Großbritannien große Teile des Gesundheitssystems in den Kollaps getrieben hat. Dieser Virus hätte keinen Schaden anrichten können, wenn es eine Verpflichtung gäbe, solch hochsensible Daten wie die von Patienten von online-Systemen fernzuhalten oder ggf. nur mit einem eigenen Extranet zu verbinden.

Das besonderes Bestreben Ihres Gesundheitsministers besteht in der Vernetzung des deutschen Gesundheitssystems. Das hat Herr Gröhe während der laufenden Legislatur immer wieder unmissverständlich zum Ausdruck gebracht und – ganz in Ihrem Sinne – das E-Health-Gesetz vorangetrieben.

Erlauben Sie mir daher nach dem globalen Hackerangriff im Mai und den aktuellen Vorkommnissen in Australien folgende Fragen:

1. Setzen Sie sich nun im Hinblick auf die aktuellen Vorkommnisse für eine online-Verknüpfung von Kliniken, Praxen, Kassenärztlichen Vereinigungen und Krankenkassen durch ein zu schaffendes Extranet ein? Wird dieses Extranet der Staat finanzieren?

2. Erwägen Sie alternativ, das E-Health-Gesetz dahingehend zu modifizieren, dass sämtliche Rechner, die Patientendaten enthalten, zum Schutz dieser Daten offline gestellt werden müssen?

3. Falls Sie 1. und 2. verneinen: Planen Sie einen Fonds oder ähnliches, der die Nachteile derjenigen regelt, wenn das deutsche Gesundheitssystem durch Hackerangriffe teilweise außer Betrieb gerät (sh. Großbritannien im Mai) oder wenn durch Hackerangriffe Gesundheitsdaten in die Hände Unbefugter geraten wie derzeit in Australien? Da der Staat bei uns die Entstehung solcher Schäden ja erst durch den gesetzlichen Zwang des E-Health-Gesetzes ermöglicht und Eigeninitiativen wie das Fernhalten von Klinik-, Praxis- oder Krankenversicherungsrechnern vom Internet verunmöglicht, ist doch sicherlich von Staatshaftung auszugehen. Oder beurteilen Sie das anders?

Für Ihre Antworten im Voraus vielen Dank

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Christian Nunhofer



Wieso fehlen denn Studienplätze?

Von Kranken und Kassen Posted on 19 Jun, 2017 08:25:31

Ach, es fehlt an Medizinstudienplätzen? Diese Erkenntnis ist inzwischen offenkundig in der Kommunalpolitik angekommen, wie der Artikel „Niedersachsens Gemeinden fordern mehr Studienplätze“ im geschlossenen Ärzteforum „änd“ vom 15.06. vermuten lässt. Die KV – also die „Kassenärztliche Vereinigung“ – soll es richten:

„Die medizinische Versorgung auf dem Land muss besser werden. Darin sind sich der Niedersächsische Städte- und Gemeindebund (NSGB) und die KV Niedersachsen einig.Für Gesprächsstoff war also gesorgt, als sich Bürgermeister und KV-Vertreter jüngst zur ersten Sitzung des neu eingerichteten Arbeitskreises „Ärztliche Versorgung“ im NSGB trafen.

Am Ende verständigten sich die Teilnehmer des Treffens denn auch auf eher unverfängliche Forderungen: Von mehr Studienplätzen, die nötig seien, ist die Rede. ‚Wenn wir es heute nicht schaffen, ausreichend Studienplätze bereitzustellen, dann fehlen uns morgen die Ärzte‘, wird Trips in der NSGB-Mitteilung zitiert. Daher müsse sich bei diesem Thema dringend etwas bewegen. Nur so könne man künftig eine ausreichende medizinische Versorgung im ländlichen Raum sicherstellen.“

Nüchterne Zahlen zur Aufklärung

Ein paar nüchterne Zahlen gefällig? 1989 – im letzten Jahr vor der Wiedervereinigung – gab es in der BRD West 85.901 Medizinstudenten. Es folgte die Wiedervereinigung, mit ihr kamen acht ostdeutsche medizinische Fakultäten dazu und die Zahl der Einwohner stieg von etwa 60 Millionen in Deutschland West auf ungefähr 80 Millionen in Gesamtdeutschland.

Die Zahl der Medizinstudenten hingegen sank (!) in Gesamtdeutschland bis zum Wintersemester 2007/08 auf 78.545. Zum Wintersemester 2013/14 war sie allmählich auf 86.376 angestiegen und befand sich damit in etwa auf dem westdeutschen Niveau vor dem Mauerfall – gerade so, als ob die dazugekommenen Neubürger aus Deutschland Ost keine zusätzlichen Ärzte bräuchten.

So, und nun reduzieren sich diese Medizinstudenten im Vergleich zu früheren Jahren auch noch durch höhere Studienabbruchquoten (früher nahe Null, inzwischen circa zwanzig Prozent).

Mehr Teilzeitarbeit durch hohen Frauenanteil

In der Berufsausübung wird sich der hohe Frauenanteil der Studenten durch mehr Teilzeitarbeit bemerkbar machen. Anders formuliert: durch fehlende Arztstunden von den üblicherweise Vollzeit arbeitenden Männern in der Versorgung! Nein nein, das hat nichts mit „Macho“ zu tun, das ist schlichte Realität! Und wissen Sie was: Die Kolleginnen haben verdammt recht, wenn sie „nur“ halbtags arbeiten wollen, um sich „nebenbei“ noch den Luxus von Kind oder gar Kindern zu gönnen.

Sie können es drehen und wenden, wie Sie wollen: Der Ärztemangel wird immer spürbarer werden. Und wenn die Damen und Herren von der Politik jetzt so sehr über den Landarztmangel jammern – warum wurden denn vor einem Jahr die Terminservicestellen für die Fachärzte eingeführt? Weil es bei den Fachärzten Überfluss an Manpower und Terminen gibt?! Alles Polit-Augenwischerei! Bei Fachärzten ist die Mangelsituation auch nicht besser als bei den Allgemeinärzten.

Worum kümmert sich Minister Gröhe? Ah, ja richtig: Um die Geschäfte der IT-Industrie: auf dass diese möglichst bald tolle Umsätze durch Zwangsanbindung aller Praxen an die Server der gesetzlichen Krankenkassen macht. Und – zweitens – genauso wichtig: dass die Gebührenordnung für die Privatpatienten nach 21 Jahren ohne Anpassung um maximal zirka sechs Prozent erhöht wird – gestreckt auf drei Jahre, versteht sich. Denn man will ja die privaten Versicherungskonzerne nicht überfordern. Aufsichtsratssitze und Managerposten für abgehalfterte Politiker wie zum Beispiel den Vorgänger in Gröhes Amt, Daniel Bahr, der bestens bezahlt im Vorstand der Allianz Krankenversicherung untergekommen ist, werden so frei gehalten.

Politik gießt Öl ins Feuer

Da braucht es nicht zu verwundern, dass bei diesen „super“ Motivationen seitens der Bundespolitik immer weniger Ärzte in die Niederlassung streben.

Ob den Damen und Herren Bürgermeistern, die das Aussterben der Landärzte beklagen, schon einmal durch den Kopf gegangen ist, dass ihre großkopferten Parteifreunde in Berlin an den Schaltstellen der Macht Schuld sind an der Misere des Ärztemangels? Ob den Lokalpolitikern klar ist, dass die Bundespolitiker bis jetzt nichts anderes machen, als weiter Öl ins Feuer des ärztlichen Versorgungsmangels zu gießen?

Aber die KVen, mit denen die Lokalpolitiker reden, die können es doch richten, oder? Kassenärztliche Vereinigungen als Ansprechpartner sind schlicht ungeeignet, denn sie haben de facto keinen Handlungsspielraum. KVen sind nichts anderes als die ausführenden Organe zur Gesundheitspolitik der Bundes- und Landespolitik. Sie sind an die Weisungen der jeweiligen Landesgesundheitsministerien gebunden.

Arroganz ließ etablierte Parteien verschwinden

Der Politik sind die KVen lediglich wertvolles Feigenblatt für eigenes gesundheitspolitisches Versagen mit dem tausendmal formulierten, aber stets unehrlichen Satz: „Da hat die ärztliche Selbstverwaltung versagt.“ Wer in Wirklichkeit nichts zu melden hat, der hat auch keine Schuld an irgendeinem Versagen! Meine Meinung: Weg mit den ganzen KV-Pseudoselbstverwaltungen! („Nee, behalten wir“, denken sich die Politiker, „kostet uns nix, zahlen ja die Ärzte durch Vorwegabzug von dem, was ihnen die Kassen überweisen, und uns bleibt der Watschnmann KV!“)

Die Arroganz der Macht hat die etablierten Parteien in Italien schon vor Jahrzehnten von der Bildfläche verschwinden lassen. In Frankreich findet dieser Prozess derzeit statt. Meiner Überzeugung nach hat das Kollabieren der ärztlichen Versorgung auf dem Land durchaus die Potenz, einen entsprechenden Wandel im deutschen Parteienspektrum herbeizuführen. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis irgendeine politische Kraft dieses Thema für sich entdeckt und sich mit dem Volk gegen die Interessen der IT-Industrie und denen der Versicherungskonzerne verbündet.



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