Blog Image

Das kranke Gesundheitssystem

Anregung und Kritik erwünscht

Als steter Streiter gegen ein in meinen Augen ungerechtes Gesundheitssystem, dessen Gewinner die Krankenkassen und dessen bedauerliche Opfer die Patienten sind, freue ich mich über jede Form von Zustimmung, Ratschlag, Anregung oder Kritik. Ich wünsche mir nur, dass bei aller nachvollziehbarer Emotion der gute Ton in schriftlichen Beiträgen die erste Geige spielt.

Dr. Christian Nunhofer

Ziel ist Schaden des Patienten

Von Kranken und Kassen Posted on 02 März, 2015 09:27:44

Über die Kassenärztlichen Vereinigungen habe ich mich schon in früheren Blogbeiträgen ausgelassen. Sie wissen daher vielleicht bereits, dass diese Institutionen unter anderem
dafür zuständig sind, das Geld von den Krankenkassen an die Ärzte weiterzuleiten.

An sich – denken Sie nun eventuell – kann mir als Kassenpatient diese Einrichtung „KV“ doch gleichgültig sein. Es handelt sich um eine Ärzteorganisation, mit der
ich als Patient und Kassenversicherter nichts zu tun habe. Das allerdings ist ein Irrtum! Im Folgenden erkläre ich Ihnen, warum KVen Instrumente zum Schaden der Patienten und der Ärzte, aber zum Nutzen der Krankenkassen
und der Politik sind.

Eine weitere Aufgabe der KVen besteht in der Sicherstellung. Das heißt, die KVen organisieren die ambulante Medizin für die gesetzlich versicherten Patienten so, dass diese
gewährleistet ist.

Patient kann nichts einfordern

Nun kommt der springende Punkt: Als Patient haben Sie kein Vertragsverhältnis mit der KV, können demnach also auch nichts einzufordern. Nun regelt das Sozialgesetzbuch
im 5. Kapitel, § 12: (3) „Konnte die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen oder
hat sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt und sind dadurch Versicherten für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden, sind diese von der Krankenkasse in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig
war“. Damit wird juristisch klar zum Ausdruck gebracht, dass der Patient seiner Krankenkasse gegenüber einen Leistungsanspruch hat. Was durchaus einleuchtet: Schließlich zahlt der Patient seine Versicherungsbeiträge
an die Kasse, aber nicht an die KV.

An dieser Stelle kommt der unselige Sicherstellungsauftrag ins Spiel: Jede Kasse wird sich immer darauf herausreden, dass eine nicht erbrachte Leistung durch die KVen und somit
letztlich durch die Ärzte zu verantworten ist, denn bei der KV liegt ja der Sicherstellungsauftrag.

Der Blick ins Ofenrohr

Also: Was haben die Kassen von der KV? Die Möglichkeit, sich der Verantwortung gegenüber den Versicherten zu entledigen, die sie nach Gesetz an sich ihren Versicherten gegenüber
hätten! Und was haben die Patienten von der KV? Den Blick ins Ofenrohr, wenn es um die Durchsetzung von Ansprüchen gegenüber ihrer Krankenkasse geht! Die Kasse behauptet bequemerweise, der Arzt müsse leisten, der Arzt
hingegen wird darauf hinweisen, dass er nach Gesetzeslage gar nicht leisten darf – und der heillos überforderte Patient steht verzweifelt oder wütend dazwischen.

Den Politikern ist dieser Missstand durchaus klar. Volksvertreter hatten ja auch schon wiederholt angedroht, die KVen zu beseitigen – aber schnell einen Rückzieher gemacht,
als die Ärzte diesem Ansinnen Beifall klatschten. Ja wollen denn die Ärzte die KVen nicht?? Zumindest diejenigen wollen sie nicht, die durchblicken im System. Bloß von denen hören Sie nichts, die haben keine Stimme in
den Medien. Und welche Ärzte sprechen im Funk und Fernsehen überhaupt einmal zum Thema KV? Klar, die KV-Funktionäre, die sich als solche im KV-System dumm und dämlich verdienen. Von einem KV-Funktionär ein Statement zur
Abschaffung der KV zu erwarten ist genau so naiv, wie sich von einem Frosch einen Appell zur Trockenlegung eines Sumpfes zu erhoffen.

Weswegen nur werden also von politischer Seite die KVen nicht abgeschafft? Weil die KVen von den Ärzten per Zwangsbeitrag finanziert werden, aber den Landesgesundheitsministerien
gegenüber weisungsgebunden sind. Die KVen sind also erstens ein kostenfreies Instrument, um politischen Willen gegenüber den Ärzten durchzusetzen.

Zweitens noch dazu ein beliebter Sündenbock für all das, was in der Gesundheitspolitik schief geht. „Da haben die ärztlichen Selbstverwaltungen versagt“ – also die
KVen – ist der Standardsatz eines jeden Gesundheitspolitikers für jeden gesundheitspolitischen Unsinn. Und davon gibt es reichlich. Die zweite Hälfte der Wahrheit, nämlich „Den Mist haben wir Politiker verbockt, die
KVen setzen doch nur gezwungenermaßen um, was wir vorgeben“ verschweigen die Damen und Herren Mandatsträger gewohnheitsmäßig.

Warum sollte die Politik eine überflüssige Behörde abschaffen, die dazu dient, politisches Versagen verschleiern zu können und die obendrein nichts kostet?! Apropos
„nichts kostet“: Arbeiten die KVen wirklich zum Nulltarif? Nein, natürlich „kosten“ sie, nur eben keine Steuergelder. Es handelt sich um riesige Verwaltungsapparate, die sich dadurch finanzieren, dass sie ihre
Beiträge von den Honorarauszahlungen an die niedergelassenen Ärzte praktischerweise gleich einbehalten. Stellt sich die Frage, woher die Mittel für die Arzthonorare kommen? Ah ja, von den Krankenkassen, also letztlich von
Ihren Versichertenbeiträgen! Sie finanzieren also eine Institution, die es Ihnen unmöglich macht, Ihre Rechtsansprüche gegenüber Ihrer Krankenkasse durchzusetzen. Im Fußball heißt das „Eigentor“! Aber mit dem
deutschen Michel lässt sich so etwas ja locker veranstalten. Der arme Kerl gibt anscheinend gern Geld dafür aus, um sich seiner Rechte gegenüber seiner Krankkasse berauben zu lassen…



Niederlassung? Nein Danke!

Von Kranken und Kassen Posted on 22 Feb., 2015 08:33:29

Liebe niederlassungswillige Kolleginnen und Kollegen! Mir ist klar, dass ich mit dem folgenden Aufsatz etliche bereits etablierte Herrschaften verärgern werde. Jene niedergelassenen
Kassenärzte nämlich, die nicht mehr allzu weit vom Ruhestand entfernt sind und sehnlich darauf hoffen, ihre Praxis an Sie weiterverkaufen zu können. Der Verkaufserlös aus einer Praxis wird bei niedergelassenen Ärzten
als Teil der Altersversorgung einkalkuliert – da sind Mediziner nicht anders als andere Selbständige wie Handwerker, Rechtsanwälte oder Steuerberater. Und die Standespolitiker der Kassenärztlichen Vereinigungen („KV“)
dürften ebenfalls „not amused“ sein, denn ohne neu niedergelassene Kassensklaven würden sie überflüssig werden und mit ihnen der ganze monströse KV-Verwaltungsorganismus.

„Ärztebashing“ zurzeit „in“

Die Kassenärztliche Bundesvereinigung hat vor zirka einem Jahr eine Werbekampagne für niedergelassene Ärzte gestartet. Mit Fotos von Praxisinhabern und dem in großen Lettern
prangenden Spruch: „Ich arbeite für Ihr Leben gern!“ Ob dadurch die Wertschätzung der Ärzteschaft in der Bevölkerung gestiegen ist, sei dahingestellt. Es wird ja gerne über „die Ärzte“ gelästert.
Privat und in den Medien. „Ärztebashing“ ist eine Erscheinung des deutschen (ja: speziell des deutschen!) Zeitgeistes. Fragen Sie mal einen der zahlreichen bundesrepublikanischen Mediziner, der in die Schweiz ausgewandert
ist, um wie viel höher er die Lebensqualität dort schon allein deswegen empfindet, weil es noch einen respektvollen Umgang zwischen Ärzten und Patienten gibt und Verständnis dafür herrscht, dass der Doktor mehr als ein
schnöder 08/15-Dienstleister ist. Im eidgenössischen Hort der Seligen gibt’s keinen dringend angeforderten Hausbesuch nachts um halb drei wegen einer Zecke in der Wade, in dessen Verlauf sich herausstellt, dass der Patient
alkoholisiert und die Zecke nicht mehr als ein Schlammspritzer ist. „Macht ja nichts“, denkt sich hingegen deutscher Otto-Normalpatient, „geht doch auf Kasse“!

So manchem Dumm-Dreisten steht allerdings auch in Deutschland die Mehrheit der dankbaren Kassenpatienten gegenüber, die sich über den engagierten Einsatz ihrer Ärzte freuen.
Die Gründe, weswegen Sie dennoch die Finger von einer Kassenarztpraxis lassen sollten, sind tatsächlich wirtschaftliche:

Ist Ihnen klar, dass Sie als Kassenarzt auf der Ausgabenseite ein richtiger Unternehmer sind? Sie zahlen Gehälter für Ihre Mitarbeiter, Miete, die Putzfrau, Investitions- und
Wartungskosten in Ihre Praxisgeräte und die EDV, spezifische Selbstständigen-Versicherungen wie etwa die Haftpflicht, Berufsgenossenschaft für Ihre Helferinnen, Rechtsschutz, Praxisausfallversicherung, Tagegeldversicherung,
Berufsunfähigkeitsversicherung etc. etc.

Bezahlter Urlaub, Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, bezahlte Fortbildungen während der Arbeitszeit? Das gibt’s bei Selbständigen nicht!

Festes Gehalt, variable Abzüge

Ist Ihnen außerdem klar, dass Sie als Kassenarzt auf der Einnahmenseite für die Kassenpatienten de facto wie ein Angestellter behandelt werden? Sie erhalten allmonatlich eine
Abschlagszahlung von „Ihrer“ Kassenärztlichen Vereinigung und vierteljährlich einen zusätzlichen Betrag, der nach Quartalsabrechnung das ausgleicht, was Ihnen durch die Abschlagszahlungen zu wenig überwiesen
wurde. Die Gesamtsumme, die Sie im Quartal verdienen dürfen, steht von vornherein fest – so wie die Summe dreier Monatsgehälter für einen Angestellten. Bei Ihnen allerdings ist noch eine Korrektur nach unten möglich,
wenn die KV aus wie üblich nicht nachvollziehbaren Gründen die Honorierung zwischen den Berufsgruppen anders verteilt – und Sie bei denjenigen sind, für die „anders“ = „weniger“ gilt.

In diesem Modell als Kassenarzt übernehmen Sie für die Kassen das Morbiditätsrisiko, also das Risiko für die Krankheitskosten! Aber gibt es nicht mehr Geld, wenn mehr Menschen
krank sind, zum Beispiel wegen einer Grippewelle, werden Sie sich womöglich denken? Nein! Weil zwischen Kassen und Kassenärzten gilt, dass die Kassen ihre Honorarsummen an die weiter verteilende KV „mit befreiender
Wirkung“ zahlen, d.h.: mehr Arbeitsaufwand gibt eben nicht mehr Geld.

Das ist so, wie wenn Sie mit einem Handwerker einen Festbetrag für eine bestimmte Leistung aushandeln. Was immer auch beim Auftrag als nicht vorhersehbares Problem dazukommt
– Festbetrag bedeutet: Risiko und damit Kosten zu Lasten des Handwerkers. Wenn sich Handwerker auf Festbeträge einlassen, dann mit einem solch hohen Kostenvoranschlagsbetrag, dass sie trotz aller Unwägbarkeiten sicher nicht
draufzahlen. Und hier hinkt gleichzeitig der Vergleich: Die niedergelassene Ärzteschaft erhält für Ihren „Festbetrag“ so wenig, dass sie stets etwa 15 Prozent mehr Leistung erbringt, als sie von den gesetzlichen
Krankenkassen bezahlt bekommt. Arbeit für „umme“ ist deutscher Kassenarztalltag. Und das natürlich bei unverändert hundertprozentigem straf- und zivilrechtlichem Haftungsrisiko.

Haftungsrisiko mit Risiken

Apropos „Haftungsrisiko“. Das haben Sie auch noch sozialrechtlich, und zwar den Krankenkassen gegenüber. Wenn die Kasse XY meint, Ihre Verordnungen seien zu teuer,
dann fordert sie von Ihnen Geld zurück. Das nennt sich „Arzneimittelregress“. Denken Sie bloß nicht, solche Regresse seine rare Ausnahmen! Etwa jeder dritte Kassenarzt ist betroffen. Die Euro-Beträge, um die es
geht, bewegen sich oft genug im Zehntausenderbereich. Und selbst wenn es Ihnen gelingt, vor dem Sozialgericht den Regress abzuwehren oder zu mindern: Das Verfahren allein kostet Sie eine Menge Zeit und Nerven – es ist die
Hölle! Wiegen Sie sich bloß nicht in dem falschen Glauben, Regresse beträfen nur Ärzte, die Luxusmedizin betrieben. Luxusmedizin ist nämlich für die Kassen alles, was nach deren Meinung mehr ist als ausreichende (!)
Behandlung – und „ausreichend“ heißt: Note 4. Mit dem Ehrgeiz, Ihre Kassenpatienten gut (= Note 2) behandeln zu wollen, gehen Sie in der Kassenmedizin zugrunde.

Resultat: Auf der Einnahmenseite ist ein Kassenarzt ein Angestellter, der andauernd unbezahlte Überstunden leistet.

Auf der Ausgabenseite allerdings ist er richtig selbständig mit dem vollen unternehmerischen Risiko bis hin bis zu dem irrsinnigen Faktum, für die Arzneimittelkosten auf Ihren
Rezepten (nebenbei: auch für Physiotherapie etc.) finanziell einstehen zu müssen.

Versuchen Sie einmal, irgendeinen anderen Berufstätigen, der die Möglichkeit hat, sich selbständig zu machen, zu überreden, unter solchen Bedingungen einen eigenen Betrieb
zu eröffnen. Der an die Stirn tippende Finger ist Ihnen als gestische Antwort sicher.

Wenn Sie sich niederlassen wollen, sollten Sie sich erkundigen, wie es sich in der Realität lebt. Bitten Sie einen selbständigen Kollegen Ihrer Zunft um eine ehrliche Auskunft.
Der Befragte sollte allerdings mindestens schon acht Jahre niedergelassen sein, damit er über einschlägige Erfahrungen mit dem Fiskus nach dem Ende der ersten Jahre mit den Abschreibungen in die Anlaufinvestitionen bei Niederlassung
verfügt.

Er sollte so weit von Ihrem avisierten Praxissitz entfernt sein, dass er Sie – falls er jünger ist – nicht als möglichen Konkurrenten sieht, oder – falls er älter ist – nicht
als mögliches Opfer, dem er seinen Kassenarztsitz verkaufen kann.

Auf keinen Fall trauen sollten Sie der Kassenärztlichen Vereinigung beziehungsweise Berufsverbänden niedergelassener Ärzte. Denn beide sind für den Erhalt der eigenen Existenz
darauf angewiesen, dass es weitere Opfer gibt, die in die Kassenarzt-Niederlassungsfalle tappen.

Lieber einsam als gemeinsam

Falls Sie sich dennoch entschließen, Kassenarzt zu werden: Praktizieren Sie in einer Einzelpraxis! In einer Gemeinschaftspraxis sind Sie unwiderruflich Gefangener des Systems.
Ein Ausstieg in Richtung Privatpraxis oder die Flucht ins Ausland ist erfahrungsgemäß durch die Partnerschaftsverträge unmöglich oder geht mit so vielen rechtlichen und zwischenmenschlichen Blessuren einher, dass es einfacher
ist, im maroden deutschen Kassenarztsystem zu verbleiben. Irgend ein Kollege, der aus einer Gemeinschaftspraxis ausgestiegen ist, wird Ihnen bestätigen, dass die „Scheidungsrate“ der Praxispartner noch höher als
die in reellen Ehen ist.

Wenn Sie sich niederlassen möchten, dann versuchen Sie folgende Strategie:

Erwerben Sie Fähigkeiten und Zusatzqualifikationen, über die die meisten Ihrer Fachkollegen nicht verfügen, die aber gebraucht werden.

Dann lassen Sie sich als Privatarzt in Einzelpraxis in einer Gegend nieder, in der Ihre Fachrichtung unterrepräsentiert ist. Dass solche Standorte immer mehr werden, ist eigentlich
nicht verwunderlich!



Tolles „Versorgungsstrukturnetz“

Von Kranken und Kassen Posted on 25 Jan., 2015 07:06:45

Sie haben es sicher schon den Medien
entnommen: Minister Gröhe bringt ein neues Gesetz für
Kassenpatienten auf den Weg. Das Versorgungsstrukturgesetz. Inhalt
unter anderem: Termingarantie für notwendige Behandlungen beim
Facharzt innerhalb von vier Wochen, dazu Einführung von
Terminvergabestellen. Was für eine Ausgeburt an intellektueller
Leistung sich hinter diesem Gesetzesvorhaben verbirgt, will ich Ihnen
an einem Beispiel verdeutlichen.

Ein kühner Plan

Stellen Sie sich vor, die Regierung
befürchtet, dass die Kosten für Brot und Semmeln aus dem Ruder
laufen. Sie hat deswegen schon seit Jahren festgelegt: Der Mehlpreis
wird fixiert und damit die Bevölkerung nicht zu dick wird, bekommt
jeder Bäcker von vornherein nur eine bestimmte, recht knappe Menge
Mehl zugeteilt, um seine Kunden zu versorgen. Auch die Preise für
Brötchen und sonstigen Leckereien des Bäckers sind fest vorgegeben.
Es gibt Bezugskarten für die Bevölkerung, die eine Art
Ersatzwährung darstellen. Für eine Bezugskarte erhält der Kunde
eine Semmel, für fünf ein Brot – so in der Art. Eigene
Preisgestaltung ist den Bäckern damit nicht erlaubt. Und mehr als
eine bestimmte Menge an Bezugskarten darf der Bäcker pro Vierteljahr
auf keinen Fall annehmen. So hat es die Regierung beschlossen –
gängige Praxis.

Unsere Opas und Uromas könnten sich
erinnern: Solch ein System gab’s tatsächlich während der Mangelzeit
im Zweiten Weltkrieg und den elend schlechten Jahren anschließend.
Sogar der Begriff stimmt: „Bezugskarten“.

Natürlich kann in unserem fiktiven
Beispiel jeder rationierte Bäcker Mehl dazukaufen, falls er
berechtigte Zweifel daran hat, dass zu wenig Rohstoff da ist, um die
Bevölkerung zu versorgen. Die zugewiesenen Mengen sind nämlich in
der Tat sehr knapp kalkuliert. Um auch nur die Stammkundschaft
ausreichend zu versorgen, bräuchte er zirka fünfzehn Prozent mehr
Mehl. Das mit dem Zukaufen ist aber so eine verzwickte Sache:
Schließlich muss der Handwerker die zusätzliche Dosis aus der
eigenen Tasche bezahlen. Mehreinnahmen hat er durch den Zukauf
allerdings nicht, denn für die Zahl an Bezugskarten, die er annehmen
darf, reicht die staatlich zugewiesene Menge Mehl aus. Nicht nur,
dass ein mit der hungernden Bevölkerung mitleidiger Bäcker das
zusätzliche Mehl selber bezahlen „dürfte“! Er müsste die
zusätzlich gebackenen Teigwaren auch noch verschenken.

Lange Schlangen, murrendes Volk

Die Folge des Systems: die Schlangen
vor den Bäckereien werden immer länger, das Volk beginnt zu murren.

Nun hat ganz ohne Vorwarnung der
Ernährungsminister eine geniale Idee! Es gibt erwiesenermaßen
Hotels mit eigener Bäckerei für den internen Bedarf. „Wenn
Bäcker nicht mehr genug eigene Semmeln für die Bevölkerung backen
erlauben wir Hotelbäckereien, die Bevölkerung mitzuversorgen.
Sobald die Schlange vor einer Bäckerei mehr als fünf Personen
zählt, dürfen Hotelbäckereien Bezugskarten von der Bevölkerung
annehmen! Die Bäckereien im Ort müssen das Mehl aus ihren eigenen,
streng rationierten Vorräten an die Hotels abgeben“. Der
Minister ist mit sich selbst überaus zufrieden und macht sich daran,
das Hirngespinst in Gesetzesform zu gießen.

Dass es sich beim geistigen Konstrukt
des gewählten Volksvertreters um eine Milchmädchenrechnung handelt,
ist jedem Kleinkind klar: Das Mehl wird schließlich durch die
Umverteilung weg vom Bäckermeister Schmidt und hin zur Hotelbäckerei
XY nicht mehr.
So, jetzt lösen wir mal diese schöne
Parabel auf:

– Die Bäcker sind die niedergelassenen
Kassenärzte, die Hotelbäckereien die Krankenhausambulanzen.

– Die Rationierung heißt
„Honorarbudget“: Jeder Arzt bekommt im Quartal nur einen
bestimmten Kassenumsatz genehmigt. Bei Überschreitung hat er Pech.
Bereits jetzt arbeiten die Kassenärzte ungefähr fünfzehn Prozent
mehr, als sie bezahlt bekommen. Das heißt: sie schenken fünfzehn
Prozent ihrer Arbeitsleistung den Patienten und entlasten damit die
Finanzen der Gesetzlichen Krankenkassen (wobei – nebenbei bemerkt –
auch die fünfzehn Prozent verschenkte Arbeit mit hundert Prozent
Personalkosten und hundert Prozent straf- und haftungsrechtlichem
Risiko einhergehen). Um also im Bild zu bleiben: die Ärzte verhalten
sich schon seit Jahren wie Bäcker, die aus der eigenen Tasche Mehl
dazukaufen, um daraus gebackene Semmeln zu verschenken.

– Die Bezugskarte nennt sich im
Gesundheitswesen „Elektronische Versichertenkarte“, kurz
EGK. Das System dahinter ist allerdings raffinierter als das mit den
Bezugskarten. Sobald der „Kunde“ seine Bezugskarten für
die Bäckerei verbraucht hat, besteht Klarheit: er kann keine Karten
mehr abgeben und somit auch keine Sachleistung mehr beziehen. Die EGK
hingegen gibt keine Auskunft darüber, wann der „Kunde“
Patient sein Quantum an ärztlichen Leistungen aufgebraucht hat.
Selbst der Arzt weiß nicht, wann er im übertragenen Sinne
Überstunden macht. Er kann es allenfalls abschätzen – und
gegebenenfalls am Quartalsende die Praxis zusperren, wenn er das
Gefühl hat, im „roten Bereich“ zu operieren und seine Leistung
wegen Budgetüberschreitung zu verschenken.

– Die Schlange vor der Bäckerei
korreliert mit der Wartezeit auf einen Facharzttermin. Die
anstehenden fünf Personen entsprechen der geplanten Termingarantie
von spätestens vier Wochen beim Facharzt. Falls der Patient
innerhalb von vier Wochen keinen Facharzttermin bekommt, soll er die
Krankenhausambulanz aufsuchen dürfen.

– Der „schlaue“ Minister heißt
Herrmann Gröhe und hat sich mit Gesundheitspolitik ganz und gar
nicht befasst, bis „Mutti“ beschloss, dass der Bub jetzt
eben lieber Gesundheitsminister wird, bevor er auf der Straße sitzt.

Also was wird es bringen, im
rationierten System Geld von den niedergelassenen Kassenärzten weg
und hin in die Klinikambulanzen zu verteilen, bei gleich bleibender
Geldmenge? Richtig: Nichts!

Kleinere Brötchen

Was wird das geplante Gesetz konkret
bewirken?

– Ein Teil der Bäcker wird kleinere
Brötchen backen, um die Schlange vor der Ladentür dadurch schneller
zu versorgen. Dadurch reicht das Mehl für mehr Semmeln, die aber
weniger satt machen, weil sie eben kleiner sind. Hauptsache, jeder
kriegt seinen Facharzttermin innerhalb von vier Wochen. Welche
Leistung er indes erfährt, steht auf einem anderen Blatt. Beispiel:
„Ja, Herr Meier, an sich bräuchte es eine Magenspiegelung.
Dafür habe ich jetzt aber keine Zeit. Aber ich plane Sie ein, bitte
stellen Sie sich wieder am Ende der Schlange an“. Wobei sich das
symbolische Ende der Menschen-Ansammlung im nächsten Quartal
befindet. Dafür gibt’s ja wieder eine neue Mehlzuteilung, sprich:
ein neues Honorarbudget…

– Ein Teil der Patienten wird
tatsächlich im Krankenhaus landen, wobei diese für zusätzliche
ambulante Untersuchungen und Behandlungen leider gar nicht
ausgestattet sind, denn – o Wunder! – auch in den Kliniken herrscht
inzwischen Ärztemangel. Wartezeiten in der Klinikambulanz –
wesentlich länger als in den Wartezimmern der Praxen – sind
vorhersehbar, und der „Bäckermeister“ Chefarzt in der Klinik
wird alsbald klagen: „Vom Wert einer Bezugsmarke können nicht
einmal meine Lehrlinge bezahlt werden!“ Höchstens für die
Facharzt-Bäckermeister „ums Eck“ soll also das Geld reichen, für
die Facharzt-Azubis, also die Assistenzärzte in den Kliniken,
hingegen nicht?!

O Herr, schmeiß Tonnen Hirn vom Himmel
auf Berlin und lass Minister Gröhe zumindest in diesem Moment auf
der Straße sitzen!



Billiges Plastik kostet 14 Milliarden

Das Allerletzte Posted on 11 Jan., 2015 09:22:55

Ein Glück, dass es die
Elektronische Gesundheitskarte gibt – zum Nutzen und Frommen der
gesetzlichen Krankenkassen, der Gesundheitsindustrie und der
Personalchefs bei Vorstellungsgesprächen. Ach, Sie zählen zu keiner
dieser Gruppen? Na, dafür können die Profiteure doch nichts …

Neue Gesundheitskarte: So
fürsorglich sind die kranken Kassen wirklich

Hurra, nun ist sie Pflicht seit
Jahresanfang – behaupten zumindest die Gesetzlichen Krankenkassen und
die Kassenärztliche Bundesvereinigung (und verschweigen uns nebenbei
die Rechtsgrundlage für diese Pflicht): die Elektronische
Gesundheitskarte, auch E-GK oder e-card genannt. Da scheint es an der
Zeit, sich über diesen Segen für die Menschheit ein paar Gedanken
zu machen:

Erzählte mir doch mein Freund Egon
Erwin (Name geändert – aber nicht von der Redaktion!), dass seine
Holde von ihrer Krankenkasse eine neue „Elektronische
Gesundheitskarte“ zugeschickt bekommen hat, und zwar gleich mit
Foto. Ein Wunder, Madame hat nämlich gar keines hingeschickt!
Irgendwie dränge sich der Verdacht auf, meint Egon Erwin, dass das
Amt, bei dem seine bessere Hälfte ruhe – äh: arbeite, seiner
Fürsorgepflicht als Arbeitgeber auf ganz ungewöhnliche Weise
nachgekommen sei und das Foto schwuppdiwupp der Kasse zugeschickt
habe. Toll! Da sage noch mal einer, deutsche Behörden seien nicht zu
besonderen Leistungen fähig!

Es geht auch Blanco

Erzählt mir außerdem meine Freundin
Katharina (Name geändert – wieder nicht von der Redaktion!), ihre
fast volljährige Tochter habe von ihrer Krankenkasse eine neue E-GK
erhalten. Hm, denke ich mir: Katharina ist so eine pingelige
Datenschutzskeptikerin, die hat gewiss kein Foto ihrer Tochter
geliefert. „Na dann halt ohne“, schienen Verantwortliche bei
Kasse gedacht zu haben und lieferten eine Art Blanco-Card.

Nur zwei Beispiele für die tollen
Anwendungsmöglichkeiten der E-GK:

1. Oma Meier hat Rheuma. Ja wie, zum
Kuckuck, soll man Großmütterchen zum Beispiel mit Werbung für
Rheumadecken zumüllen können, wenn der Handel vom lukrativen
Gebrechen nichts ahnt? Dank E-GK kommen ab sofort alle brisanten
„Gesundheitsdaten“, wie Oma Meier immer sagt, auf einen
Zentralrechner und von dort werden sie dann „meistbietend“ an
Interessenten verkauft.

Die Daten sind sicher???

„Nee, nee, die Daten sind sicher“ –
besänftigen die Kassen die ewigen Meckerer. Klar, bestimmt so sicher
wie – sagen wir mal – die Daten von Schweizer Bankkonten. Können Sie
sich noch erinnern? Vor zwei, drei Jahren hat der deutsche Fiskus von
Hackern CD-Roms mit empfindlichen Daten bundesrepublikanischer
Steuerhinterzieher gekauft. Ja, zugegeben, ausgerechnet so etwas
bekannt Unsicheres wie Schweizer Banken als Vergleich herzunehmen,
ist natürlich unfair! Denn ansonsten sind Daten und deren
Übermittlungen ja top-secret – wie Scotland Yard und das FBI
bestätigten, nachdem deren Telefonschalte miteinander von Hackern
angezapft wurde.

Und da gibt’s noch Edward Snowden. Der
nette junge Mann, der so interessante Geschichten erzählt hat, bei
denen unter anderem herauskam, dass der große Barack das Handy von
der kleinen Angie abgehört hat. Doch was soll das? Nichts ist
sicherer als Daten in der Verwahrung deutscher gesetzlicher
Krankenkassen?! Kein Vergleich zu dilettantischen Methoden bei
Sicherheits-Ignoranten wie Schweizer Banken, Scotland Yard, dem FBI
oder gar der Frau Bundeskanzlerin höchstpersönlich!

2. Noch eine sinnvolle
Anwendungsmöglichkeit der E-GK: Stellen Sie sich vor, ein großer
Konzern, z.B. der Versicherungskonzern Latro AG, hat eine Stelle zu
besetzen und gleich mehrere qualifizierte Bewerberinnen und Bewerber.
Na, da ist es doch für den Personalchef sinnvoll, mit einem
Lesegerät (das sich die Latro AG wahrscheinlich gerade noch leisten
kann) einen Blick auf die E-GK der Job-Aspiranten zu werfen, um sich
über eventuelle Krankheiten der Bewerber zu informieren. Was heißt
hier verboten? Schon klar, Versicherungen sind von je her stets der
Hort des Anstands schlechthin. Die respektieren gewiss, dass es
zaudernde Menschen gibt, die einen rein informellen Blick auf das
Kärtchen verweigern. Bestimmt sind es schlussendlich gerade diese
Verweigerer, die sich die Jobs sichern, oder?

Schlappe 14 Milliarden Euro!

Da kommt mir gerade ein Gedanke: Laut
den kranken Kassen kann man als Patient die Speicherung von Daten auf
der E-GK untersagen. Allerdings: wozu ist der Plastik-Chip dann gut?
Wo liegt der Vorteil im Gegensatz zu bisherigen Versichertenkarten?

Mensch, mir fällt soeben die Antwort
wie Schuppen aus den Haaren! Natürlich sind diese neuen Karten
prima, und zwar für die IT-Industrie, die jene Datenträger nebst
passenden Lesegeräten herstellt. Immerhin finanzieren die
Versicherten via gesetzlicher Krankenkasse das E-GK-Projekt
hartnäckigen Gerüchten zufolge mit schlappen 14 Milliarden Euronen
aus Beitragsgeldern. Und die IT-Industrie ist wichtig – vor allem für
unsere Volksvertreter. Die brauchen schließlich irgendwann einmal
irgendwo ein warmes Plätzchen, wenn ihr Bundestagsmandat der
Ignoranz des unzufriedenen Wähler-Mobs zum Opfer fallen sollte.
Dabei ist eins so sicher wie Blüms Rente: ohne gesetzgeberische
Vorleistung im Hier und Jetzt für die Industrie kein wohldotiertes
Managerpöstchen später in einem Konzern. Sie wissen ja: ein Wulff
kommt selten allein – und überhaupt können wir nicht jeden
abgehalfterten Politiker zum Ehrensöldner befördern. Erinnern Sie
sich an die Herren v. Klaeden, Pofalla und Bahr aus dem engsten
Umfeld von Änschie M? Glauben Sie im Ernst, die würden nun
Managerposten bekleiden, wenn sie nicht zu rechter Zeit im Kanzleramt
oder in der Regierung Politik im Sinne ihrer jetzigen Arbeitgeber
betrieben hätten?

Falls Sie also noch keine neue E-GK
besitzen: schnellstens melden! Viele Kassen haben inzwischen sogar
Fotokabäuschen in ihre Filialen montiert, damit Sie sich den Weg zum
Lichtbildner sparen können. Denken Sie einfach an flauschige
Rheumadecken und an sämtliche Super-Jobs, die Ihnen durch die Lappen
gehen.

Hm, also warum eigentlich ist den
Kassen so sehr an der Einführung des Plastikspions gelegen? Und
wieso preist die Bundesärztekammer das E-GK-Projekt wie einen
Lottogewinn (sh. //blog.krankes-gesundheitssystem.com/#post13)? An
und für sich wäre es Angelegenheit dieses Gremiums gewesen, die
Beschlüsse der Vollversammlung des Deutschen Ärztetages umzusetzen!
Bei Deutschen Ärztetagen hatte die Vollversammlung der Mediziner
wiederholt gegen die Einführung der E-GK gestimmt.

Eine Hand wäscht die andere

Was um alles in der Welt nötigt die
Kassenärztliche Bundesvereinigung trotz der Negativ-Voten der
Vollversammlungen auf den Ärztetagen, die Hersteller von
Praxisverwaltungssoftware zu zwingen, die Praxis-EDV so umzustellen,
dass seit 1. Januar nur noch die E-GK eingelesen werden kann? Warum
geben die Kassenärztlichen Vereinigungen die Beitragsgelder ihrer
Mitglieder (also der niedergelassenen Ärzte) dafür aus, dass
großflächige Werbung in den Praxen platziert wird mit der
Information für die Patienten, dass sie ab 01. Januar über die neue
E-GK verfügen müssen?

Des Rätsels Lösung liegt in der
Gesellschafterstruktur der Gematik (Gesellschaft für
Telematikanwendungen der Gesundheitskarte m.b.H.“), also jener
Firma, die die Technik für die E-GK herstellt und am E-GK-Projekt
milliardenschwer verdient, sh.
https://www.gematik.de/cms/de/gematik/unternehmensorganisation/gesellschafter_2/gesellschafter_3.jsp

Tja, und wen finden wir denn da? Als
Vorsitzende der Gematik fungiert Frau Dr. Doris Pfeiffer, Chefin des
Spitzenverbandes der Gesetzlichen Krankenkassen. Ihr Stellvertreter
ist ein Herr Dr. Kriedel als Bevollmächtigter der Kassenärztlichen
Bundesvereinigung, mit von der Partie ist neben einigen anderen
Systemprofiteuren selbstverständlich auch die Bundesärztekammer.
Kein Wunder, dass die Bundesärztekammer und die Kassenärztliche
Bundesvereinigung Ablehnungsbeschlüsse der Ärztevollversammlung
ignorieren, wenn sie dem kommerziellen Reibach ihrer eigenen
Funktionäre schaden. Oder meinen Sie vielleicht, Frau Dr. Pfeiffer,
Herr Dr. Kriedel & Co. üben ihre Funktionen ehrenamtlich aus?



« VorherigeWeiter »