Sehr geehrter Herr Generalsekretär Dr. Peter Tauber,
die Bundestags- und auch die Niedersachsenwahl liegen hinter uns. Auch mit etwas Zeitdistanz ist der Niedergang der CDU in den Abstimmungsergebnissen unübersehbar. Am Abend der Bundestagswahl hatte die Bundeskanzlerin mit Blick auf das desaströse Wahlergebnis der Union erklärt, Sie wüsste nicht, was anders zu machen sei.
Politisch gab es für mich jahrzehntelang – gleich bei welcher Wahl – nur eine Partei: die CSU. Mitglied (wenn auch nur passiv) seit den Zeiten von Franz Josef Strauß selig, der mit echtem Konservativismus Bayern in der Leistungsbilanz, aber auch in der Qualität der schulischen Leistungen an die Spitze aller Bundesländer gesetzt hat.
Niemand wird seine Schlitzohrigkeit ernsthaft bestreiten, aber auch niemand sollte ernsthaft in Zweifel ziehen, dass FJS immer das Wohl der Bevölkerung im Auge hatte, sich stets mit ganzem Herzen erfolgreich eingesetzt hat für ein Land, in dem wir gut und gerne gelebt haben.
Aus der CSU bin ich schon vor Jahren ausgetreten. In meinem Austrittschreiben habe ich dem damaligen Generalsekretär Dobrindt erläutert, weswegen diese Partei weder mehr christlich noch sozial ist.
Seit 25 Jahren bin ich niedergelassen, seit vier Jahren habe ich aus Protest gegen die Zwangseinfüh-rung der elektronischen Gesundheitskarte EGK die Kassenzulassung zurückgegeben. Warum: Weil keine elektronische Kommunikation sicher ist, wie das Hacken der Gesundheitsdaten sämtlicher Australier vor einigen Monaten „dank“ des dortigen EGK-Systems bewiesen hat. Für mich steht das Arztgeheimnis immer noch höher als das Gewinninteresse der IT-Industrie.
Bin ich technikfeindlich? Sie werden wenige neurologisch-psychiatrische Praxen finden, die mit Medizintechnik so ausgestattet sind wie die meine. Nebenbei: die Rückgabe der Kassenzulassung hat mir ein solch ordentliches Umsatzplus beschert, so dass ich weiterhin als Alleinverdiener meine Familie mit sechs Kinder, die meine Frau und ich zusammen haben – wir sind, wohlgemerkt, keine „Patchwork“-Familie – „durchfüttern“ kann.
In den geschlossenen Ärzteforen wurde vor der Bundestagswahl eifrig diskutiert, welche Partei denn nun für niedergelassene Ärzte die richtige sei. Dabei gab es nur zwei ernsthafte Alternativen in den Augen der Diskutanten: die FDP oder die AfD. Die Union hat keine Rolle gespielt. Warum, werde ich Ihnen erläutern.
Für mich persönlich ist die FDP seit der vorletzten Legislatur keine wählbare Partei mehr, und die AfD keine Alternative, solange sie sich definitiv nicht vom ekelbraunen rechten Rand lossagt. Der Wahl-o-Mat hat mir persönlich zur Union geraten. Aber wirklich Union wählen? Als niedergelassener Arzt, der sich seinen Patienten verpflichtet fühlt?
Vier Jahre Gröhe als Gesundheitsminister zeigen, wohin die Reise nach Unionsvorstellungen im Gesundheitswesen gehen soll:
1. Wertschöpfung eröffnen für die IT-Industrie. Das Patientengeheimnis ist lästige Marginalie am Rande. Die Vernetzung des Gesundheitswesens predigen und Gesetze schaffen zur Telematik-Infrastruktur, selbst wenn diese Gesetze mangels technischem know how gar nicht umsetzbar sind: das ist patientenverachtende Unions-Linie.
2. Die privaten Versicherungskonzerne schonen und zugleich die Beihilfen mit einer Gebührenordnungs-Reform beglücken, deren Inhalt sein soll: Nach 22 Jahren ohne Inflationsausgleich soll dieses Defizit zu Lasten der Ärzteschaft fixiert, gemäß neuem Text allenfalls drei Jahre lang an die voraussichtliche Teuerungsrate angepasst werden (auf drei Jahre ca. sechs Prozent Verbesserung – aber nur, falls die Versicherer damit nicht überfordert sind).
Klug hat sich Herr Gröhe die Verhandlungspartner auf Ärzteseite dazu ausgewählt: Die Herren von der Bundesärztekammer stehen doch (via der Tochtergesellschaft DÄV) alle auf der Lohnliste des AXA-Konzerns, eines der großen privaten Krankenversicherungsunternehmen. Bis vor einem Jahr hat selbige Herren auch noch die Allianz-Versicherung als „Beiräte“ mit finanziellen Zuwendungen bedacht. Als dieser Fisch vom Kopf her nun doch zu streng roch, hat sich die „Allianz“ entschlossen, auf den Ärztebeirat kurzerhand zu verzichten.
Wie Sie wissen, hat Politik hat die Aufgabe, einen Interessensausgleich zwischen verschiedenen Gruppen der Bevölkerung herzustellen. Wie solch ein Interessensausgleich aussehen müsste bei einer Gebührenordnung, die 22 Jahre alt ist, dazu geführt hat, dass über die Jahre seit 1996 gerechnet jeder Arzt für jede Privatrechnung durch die inflationsbedingte Entwertung der PKV und auch den Beihilfen einen unfreiwilligen Rabatt von 16,0 Prozent (Stand 31.12.2016) und aktuell von 33,6 Prozent gewährt, liegt auf der Hand.
Der Verordnungsgeber für diese Gebührenordnung ist der Bundesgesundheitsminister. Herr Gröhe setzt aber eine neue, faire GOÄ nicht in Kraft. Er gibt statt dessen „Verhandlungspartnern“ aus privater Versicherungswirtschaft und Bundesärztekammer vor, ein ausgearbeitetes Gebührenwerk vorgelegt zu erhalten, das gekaufte Ärztevertreter (sh. oben) im Konsens mit den Versicherern, von denen sie bezahlt werden, ausarbeiten sollen.
Das klingt klug nach Konsensfindung zwischen Vertragsparteien. Allerdings ist kein Vertrag zu finden, sondern schlicht den Interessen der Ärzteschaft Rechnung zu tragen, nachdem 22 Jahre lang einseitig der Ärzteschaft ein finanzielles Sonderopfer zum Nutze der Versicherungskonzerne und der staatlichen Beihilfen abverlangt wurde, also 22 Jahre lang einseitig den Interessen der Versicherer und der Beihilfen Rechnung getragen wurde. Herr Gröhe versucht mit den Tricks eines Winkeladvokaten, den Ärzten den politisch geschuldeten Interessensausgleich schuldig zu bleiben.
Übrigens: Anstieg der Inflation seit Inkrafttreten der GOÄ 1996 um 33,6 Prozent, Anstieg der Bezüge der Bundestagsabgeordneten um 51,7 Prozent. Unbekannt ist, um wie viel Prozent die Managerbezüge der Versicherungsunternehmen in diesem Zeitraum gestiegen sind. Schätzungen sprechen von 600 Prozent. Wenn Sie konkrete Zahlen haben, wäre ich Ihnen um Aufklärung dankbar.
Ein Thema, das inzwischen fast vollkommen untergeht, ist das der Verantwortung. Welche persönliche Verantwortung tragen die Manager der Versicherungskonzerne? Welche persönliche Verantwortung lastet auf den Abgeordneten im Bundestag, die eine derartige Steigerung von deren Bezüge seit 1996 rechtfertigt? Die Last der Verantwortung beim Abstimmungsverhalten via Fraktionszwang?
Ja, es gibt noch eine Institution, die sich für die permanente persönliche Verantwortung der niedergelassenen Ärzteschaft interessiert: die Haftpflichtversicherung. Die Haftpflichtversicherer wissen, dass es sich beim Arzt um keinen Beruf wie jeden anderen handelt und sie setzen dieses Wissen um die besonders hohe ärztliche Verantwortung geldwert um. An den Haftpflichtprämien lasst sich das Maß an persönlicher Verantwortung ablesen: Wie hoch sind die Haftpflichtprämien für Bundestagsabgeordnete und die leitenden Angestellten der Konzerne, gemeinhin „Manager“ genannt? Ich bitte um Auskunft.
Was meinen Sie: Wählen niedergelassene Ärzte die Union? Oder machen sie aus den Sprechzimmern heraus Stimmung gegen die CDU/CSU?
– Der damalige Bundesgesundheitsminister Horst Seehofer hat mit dem SGB V ein Regelwerk geschaffen, das die Leistungserbringer (der Ausdruck „Ärzte“ ist im gesetzlichen Krankenkassenjargon ja abgeschafft worden) am finanziellen Krankheitsrisiko der Patienten beteiligt. Angeblich werden nach neuesten Verlautbarungen der Kassenärztlichen Bundesvereinigung nur noch zehn Prozent der Arztleistungen im GKV-Bereich wegen Budgetüberschreitung nicht bezahlt; mit ist eine Quote von 15 Prozent geläufig.
Dazu kommt: Nach dem Gutachten im Auftrag der KV Bayern des Gesundheitsökonomen Professor Günter Neubauer, München, betreibt der Durchschnitt der Fachärzte in den Disziplinen Gynäkologie, Orthopädie, Urologie, Dermatologie, Augenheilkunde und HNO seine Kassenpraxis defizitär.
Dabei geben die gesetzlichen Krankenkassen im Durchschnitt fast ebenso viel aus pro Versichertem und Jahr wie die Privatversicherer. Die nachfolgenden Zahlen stammen von Ellis Huber, der nun bestimmt nicht verdächtig ist allzu großer Sympathien für niedergelassene Ärzte:
Ausgaben der Krankenversicherer 2015 pro Versichertem (laut Ellis Huber):
– Gesetzliche Krankenkassen: 2.905 €
– Private Versicherer: 2.950 €
Unterschied: niedergelassene Ärzte müssen aus Budgetgründen GKV-Patienten vermehrt stationär einweisen. Wirtschaftliches Handeln gibt es eben nicht nur aus Kassensicht. Dass das Resultat in der Summe für Kassenpatienten unwirtschaftlich und sogar gefährlich (Infektionsrisiko in den Klinken) ist, ist evident.
Was meinen Sie: Wählen niedergelassene Ärzte die Union? Oder machen sie aus den Sprechzimmern heraus Stimmung gegen die CDU/CSU?
– Ärztemangel: Das Thema ist in der Bundespolitik noch gar nicht angekommen – nur die Bürgermeister auf dem Land jammern, weil der Dorfarzt in Rente geht und kein Nachfolger zu finden ist. Monatelanges Warten auf den Facharzttermin: Gibt es etwa mehr Termine, wenn Terminservicestellen geschaffen werden?
Wer hat’s verschuldet? Wer hat vorübergehend so viele Medzinstudienplätze abgebaut, dass es in Gesamtdeutschland tausende weniger Medizinstudenten gegeben hat als zuvor allein in Deutschland West – der „schwarzen Null“ zuliebe? Die Politik, wobei seit der Union – abgesehen von einer relativen kurzen Zeitspanne der Kanzlerschaft Schröders – die Union federführend in der Regierung war.
Und wer soll es jetzt richten? Die Kassenärztlichen Vereinigungen mit Förderprogrammen von zigtausenden Euro für jede einzelne Niederlassung auf dem Land.
a) Warum sollen die Kassenärzte mit Geld aus ihrem KV-Topf heilen, was die Politik beschädigt hat?
b) Was nützen Förderprogramme und Zuschüsse, wenn die Arbeitsbedingungen des niedergelassenen Arztes in einem dirigistischen und ungerechten System (sh. GOÄ, Budgetüberschreitungen, Medikamenten- und sonstige Regresse) schlicht repressiv und unwürdig sind?
c) Was meinen Sie wohl, was resultieren wird aus Stipendiaten, die sich jetzt zu Studienbeginn auf eine Berufsausübung als Landarzt verpflichten? Keiner dieser Ärmsten kennt die vielen Facetten der Medizin.
Unsereiner wollte nachweisbar vom vierten Lebensjahr – ebenso wie mein Sandkastenfreund – bis zum achten Semester Chirurg werden – dann kamen die „Nervenfächer“, die mich fasziniert haben; der Sandkastenfreund ist übrigens Chirurg. Ich prophezeie Ihnen: Es werden mit diesen Stipendien viele frustrierte Landärzte herangezogen, die während des Studiums entdecken, dass sie viel lieber Chirurgen, Dermatologen, Pathologen oder Mikrobiologen werden würden.
Glauben Sie, dass diese ganze gesundheitspolitische Misswirtschaft, dieses Verdrängen der Probleme und der Versuch Ihrer Partei, auch die ambulante Medizin zu einem lukrativen Geschäftsfeld für geldgeile Manager in der IT-Branche und von Gesundheitskonzernen zu machen, den niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten verborgen bleibt? Nochmal meine Frage:
Was meinen Sie: Wählen niedergelassene Ärzte die Union? Oder machen sie aus den Sprechzimmern heraus Stimmung gegen die CDU/CSU?
Sollten Sie sich bemüßigt fühlen, zu den Kassenarztthemen dieses Briefes zu antworten, und Ihnen für diese Antwort der gängige Politikerallgemeinplatz in den Sinn kommen: „Es liegt ein Versagen der kassenärztlichen Selbstverwaltung vor“, dann darf ich Ihnen empfehlen, die KVen schnellstmöglich abzuschaffen. Denn die Kassenärztlichen Vereinigungen sind überflüssig und haben nur eine wirkliche Funktion: die der Standardausrede für das langjährige Versagen der Berufspolitiker in der Gesundheitspolitik, jenes Versagen, das die KVen – der Politik weisungsgebunden – schlicht umzusetzen haben.
Soweit zur Ärzteschaft. Ganz allgemein gilt:Wenn Frau Merkel offenkundig meint, den Mittelstand evident sinngemäß definieren zu müssen als „Betriebe, die für Politiker Aufsichtsrats- oder Managerposten bieten“, sich aber für das Gros derjenigen, die in diesem Land aber die Arbeitsplätze zur Verfügung stellen, nicht interessiert, wird es mit der Union weiter bergab gehen.
Der Frust über die Union ist nicht nur bei den Ärzten groß, sondern genauso bei den kleinen Handwerkern, Gewerbetreibenden und anderen Selbständigen – also Ihrem ehemals typischen Wählerklientel, die unverändert den Soli bezahlen, der kalten Steuerprogression zum Opfer fallen und – im Unterschied zu den Großkonzernen, in deren Managerkreisen Frau Bundeskanzlerin bevorzugt verkehrt und wohin sie wohlfeil ihre Kanzleramtsminister von Klaeden und Pofalla als Spitzenverdiener weitervermittelt – die volle Last des EEG mit dem teuren Strompreis zu spüren bekommen.
Wer ist nun „Wir“ in diesem Land, in dem WIR gut und gerne leben?: Eine abgehobene Elite, die von der Union fortwährend bedient wird, wie die Umverteilung des Vermögens von unten nach oben deutlich macht, abzulesen am Gini-Index. Allerdings: diese Elite bringt Ihrer Partei nicht genug Wählerstimmen. Und eine glänzende Bilanz in der Außenpolitik vermag die innenpolitische Verachtung der Union für diejenigen, die redlich arbeiten, nicht mehr zu überdecken.
Jammert da einer auf hohem Niveau? Bitte bedenken Sie: Auf mich treffen allenfalls die Analysen zur GOÄ-Reform zu, nicht jedoch zur Kassenmedizin.
Eine persönliche Information zum Schluss: Meine älteste Tochter wird im nächsten Jahr ihr Medizinstudium im EU-Ausland beenden. Sie wird als Ärztin arbeiten – aber voraussichtlich nicht in Deutschland. Denn ihr ist klar: Für einen Arzt bietet Deutschland keine Perspektive mehr, in dem man gut und gerne lebt.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Christian Nunhofer