Liebe Kolleginnen und Kollegen, sicher sind wir uns darin einig, dass in den letzten Jahrzehnten berufspolitisch nichts, aber auch gar nichts im Sinne der niedergelassenen Ärzte gelaufen ist.
Bei gesetzlich Krankenversicherten tragen die Kassenärzte absurderweise einen Teil der Krankheitskosten mit. Obwohl jedem Kassenarzt klar ist, dass die Honorierung für die Kassenmedizin pro Quartal durch das „Honorarbudget“ begrenzt ist und deswegen jeder Kassenarzt so sparsam wie möglich untersucht und behandelt, werden dennoch durchschnittlich zirka 15 Prozent der erbrachten Arztleistungen wegen Budgetüberschreitung nicht ausbezahlt.
Wie würde der Friseur reagieren?
Befremdlich mutet es an, dass das Morbiditätsrisiko – also das Risiko für die Krankheitskosten – damit teilweise bei den Ärzten liegt. Wie wohl die Autowerkstatt, der Friseur oder der Steuerberater reagieren würden, wenn Sie deren Rechnungen jedes Mal wegen „zu gründlicher Arbeit“ routinemäßig um 15 Prozent kürzen würden?
Status Quo seit 21 Jahren
Bei den Privatpatienten rechnen die Ärzte inzwischen nach einer Gebührenordnung ab, die seit 21 Jahren nicht mehr angepasst wurde. Das EKG heute kostet auf den Pfennig resp. Cent genau so viel wie 1996. Und wie haben sich die Löhne und Gehälter seit 1996 entwickelt? Die Honorare der Steuerberater, Rechtsanwälte, Notare und Architekten?
Die Bezüge der Bundestagsabgeordneten sind in diesem Zeitraum jedenfalls um 51,7 Prozent gestiegen, die Teuerungsrate um 33,6 Prozent. Für die Privatrechnungen der Ärzte bedeutet dies, dass das EKG für den Privatpatienten heute um 33,6 Prozent weniger wert ist als 1996.
Die Auswirkungen der fehlenden Angleichung für die Jahre seit 1996 lassen sich errechnen: Im Durchschnitt war jede Privatrechnung von 1997 bis 2016 um 16,0 Prozent weniger wert als eine solche im Jahr 1996.
Wer setzt sich für Mediziner ein?
Wer vertritt denn eigentlich die Interessen der Mediziner? Zum einen behaupten das von sich jene ärztlichen Standesorganisationen, die als Körperschaften des öffentlichen Rechts organisiert sind:
– die Landesärztekammern und deren Arbeitsgemeinschaft: die Bundesärztekammer
– speziell für die Kassenärzte die Kassenärztlichen Vereinigungen und deren Bundeszusammenschluss: die Kassenärztliche Bundesvereinigung
Zum anderen gibt es zahlreiche ärztliche Berufsverbände, die zu den erwähnten Körperschaften des öffentlichen Rechts eine ähnliche Funktion haben wie politische Parteien für die Parlamente: sie entsenden durch Wahlen Vertreter in diese Organisationen und versuchen sich auch sonst politisch Gehör zu verschaffen.
„Totalversagen“ ist keine Übertreibung
Am bekanntesten sind wohl der Marburger Bund (der die Interessen der Klinikärzte vertritt) und der Hartmannbund (das Pendant für die Niedergelassenen). Im niedergelassenen Bereich existieren allerdings noch etliche andere Berufsverbände, zum Beispiel für einzelne Fachrichtungen etc. etc.
Aufgrund der eingangs geschilderten, höchst unbefriedigenden, aber seit mehreren Jahrzehnten andauernden Zustände für die niedergelassenen Ärzte kann man allerdings ohne Übertreibung ein Totalversagen jedweder Interessenvertretung konstatieren. Die Folgen sind inzwischen deutlich spürbar: Die Niederlassung ist inzwischen so unattraktiv, dass den Schritt in die Selbständigkeit nur noch jene jungen Kollegen tun, die sich vorher nicht genau darüber informiert haben, worauf sie sich da einlassen. Der Mangel an Hausärzten ist in inzwischen in aller Munde.
Ein bürokratisches Schelmenstück
Für die Fachärzte sah sich das Bundesgesundheitsministerium genötigt, Terminservicestellen einzurichten. Gerade so, als ob dadurch die Zahl der Termine zunehmen würde: ein echtes bürokratisches Schelmenstück!
Allem Gerede vom „Jammern auf hohem Niveau“ bei der Ärzteschaft und sonstigen Ablenkungserklärungen zum Trotz verdeutlicht meine Analyse für den Kassen- und Privatpatientenbereich: Ein wesentlicher Teil des Ärztemangelproblems ist schlicht tatsächlich die unangemessene Bezahlung der niedergelassenen Ärzte.
Können oder wollen sie nicht?
Jetzt die Gretchenfrage: Warum schaffen es die oben erwähnten Körperschaften und auch die zahlreichen Berufsverbände nicht, politischen Druck aufzubauen? Und zwar seit langen Jahren nicht? Selbst jetzt nicht, wo die Bevölkerung den Mangel bereits deutlich spürt? Die Berufsverbände reden, posten, analysieren – und erreichen NICHTS! Schon seltsam, oder??
Meine Meinung ist, dass Körperschaften und Berufsverbände – die miteinander verbandelt sind wie Parteien und Parlament – überhaupt nichts verändern WOLLEN. Der veränderungsfreie Verlauf all der Jahre spricht für diese schlichte These. Man beabsichtigt offensichtlich, nur etwas Wind zu machen, der das ärztliche Basisvolk in den Glauben versetzt, seine Interessen würden wahrgenommen.
Eine Hand wäscht die andere
De facto aber nehmen die Damen und Herren Standesvertreter in den Körperschaften vor allem ihre eigenen Interessen und die Interessen derer wahr, die die Gegenspieler der Ärzteschaft sind – und lassen sich von diesen auch bezahlen. Sie agieren als U-Boote für die Gegenspieler der Niedergelassenen. Und wie funktioniert dafür die Bezahlung? Durch Beraterverträge, Gutachtensaufträge etc. pp.
Wenn Sie jetzt denken, ich würde mafiöse Strukturen vermuten, liegen Sie richtig. Zum üblen Spiel gehört natürlich auch, dass eine Hand die andere wäscht. Wer weiß, wen die Körperschaften mit Beraterverträgen, Gutachten und sonstigen geldwerten Vorteilen beglücken, um an dem Dummhaltespielchen der Ärzteschaft teilzunehmen?
Vorschläge zur Abhilfe
Abhilfe? Transparenz! Die Vollversammlung des nächsten Deutschen Ärztetages sollte Beschlüsse fassen:
1. Die in den Kammern und Kassenärztlichen Vereinigungen aktiv tätigen Ärzte sollen sämtliche Einkünfte aus Beratung, Gutachten etc. der letzten zehn Jahre inklusive der laufenden offenlegen, die nicht unmittelbar einen ärztlichen Sachverhalt zum Gegenstand hatten und außerdem Auftraggeber und Höhe der Vergütung nennen.
2. Die Kammern und Kassenärztlichen Vereinigungen sollen kund tun, an wen und wofür sie in den letzten zehn Jahren in welcher Höhe Beratungshonorare, Gutachtenshonorare oder sonstige Gelder bezahlt haben oder immer noch bezahlen. Wer dem nicht nachzukommen bereit ist, soll von seinen Ämtern zurücktreten.
Vielleicht verschafft ja schon dieser Aufsatz etwas Erhellung? Meine Bitte an Sie ist, ihn zu verbreiten. Die Reaktion von manch ärztlichem Standesfunktionär dürfte aufschlussreich sein: Totstellreflex oder sich einsetzen für meinen Vorschlag? An der Stelle dürfen Sie selber weiterdenken …