Kommerz macht krank, zumindest im Krankenhausbereich. Neulich habe ich mich überwunden, um mir nach langer Abstinenz mal wieder im ZDF Maybritt Illners Polittalk zu Gemüte zu führen. Themen unter anderem: Mangel an Pflegepersonal – stimmt. Ärztemangel in der Klinik? Wurde nicht erwähnt. Der Mit-Talker und Vorsitzende der Bundesärztekammer Montgomery fühlte sich auch nicht bemüßigt, auf dieses Thema hinzuweisen. Multiresistente Keime? Endlich ordentliche Händedesinfektion! Stimmt auch, macht bei Durchführung lege artis pro Vollzeitkraft und Tag zwei Stunden mehr Arbeit, also bräuchte es ca. 25 Prozent mehr Schwestern und Ärzte. Vorausgesetzt, man will den Personalmangel, wie er momentan herrscht, nicht weiter verschärfen. Ungünstig ist allerdings, dass fast niemand mehr Interesse an Pflegeberufen hat. Die durchschnittliche „Verweildauer“ in diesem Segment bis zur Umorientierung dauert acht Jahre, habe ich gelernt.

Eingewiesen, nicht aufgenommen

Ich saß mit einer Kollegin aus einer Uniklinik nach einem Meeting im Zug zwischen Oldenburg und Hannover. Sie bemerkte lapidar, dass mindestens ein Drittel der in ihre Klinik eingewiesenen Patienten gar nicht stationär aufgenommen werden müssen.
Aha. Und warum wurden sie dann eingewiesen?
a): Weil die Wartezeiten auf den Facharzttermin irrsinnig lang sind – vielleicht noch nicht einmal im internationalen Vergleich, aber für unsere bundesdeutschen Gewohnheiten. Und warum sind die Wartezeiten so lang? Weil die ambulante Facharztleistung mittels Honorarbudget rationiert ist, so dass mancher Termin nicht vergeben wird, obwohl er vorhanden ist. Null Kohle für hundert Prozent Verantwortung und Haftung? Nein danke, sagt sich da der Facharzt! Das zwingt die Allgemeinmediziner zu Klinikeinweisungen anstatt zur Überweisung – aus Gründen der Akutversorgung.
b): Weil der Patient zwar beim Facharzt gelandet ist, der Facharzt jedoch feststellt, dass der Patient einen diagnostischen oder therapeutischen Aufwand verursacht, den er zwar medizinisch durchaus handhaben könnte, allerdings nicht aus wirtschaftlichen Gründen: Das Honorarbudget schränkt auch hier die Fachärzte in ihren Handlungsmöglichkeiten ein. Folge: der Patient, der ja nun einmal versorgt werden muss, wird vom Facharzt stationär eingewiesen.
Die Terminvergabestellen, die demnächst die ambulante Versorgung „bereichern“, werden voraussichtlich zu einer Verschiebung der stationären Einweisungen führen. Weniger wegen Grund a), denn der Patient bekommt binnen vier Wochen nun seinen Facharzttermin, aber mehr wegen Grund b), denn die Rationierung der ambulanten Leistung wird durch Terminvergabestellen nicht aufgehoben. Unter dem Strich bleibt es ein Nullsummenspiel. Halt, falsch: eine Negativbilanz, denn die Terminvergabestellen wollen ihre sinnlose Existenz ja finanziert haben.

Geld verdienen geht vor Gesundheit

Nun stellt sich die Frage: Warum wird die Rationierung der ambulanten Medizin nicht aufgehoben? Weil die Politik „ambulant vor stationär“ zwar predigt, aber die Weichen stets in Richtung „stationär vor ambulant“ stellt. Tote durch multiresistente Keime im Klinikbetrieb hin oder her (diese frechen Bakterien fragen nicht danach, ob der Patient gar nicht ins Krankenhaus hätte eingewiesen werden müssen).
Und was motiviert die Politik zur Bevorzugung der stationären Medizin gegenüber der ambulanten? Logisch – nur mit gut ausgelasteten Kliniken ist Geld zu verdienen. Und ausschließlich darum geht es: Es zählt die Gesundheit der Klinikbilanz, nicht die des Patienten. Wenn die Politik heute im Sinne der Bilanzen der Klinikkonzerne agiert, dann revanchieren sich die Klinikkonzerne morgen gerne mit einem Aufsichtsrats- oder Managerpöstchen bei den Damen und Herren Volksvertretern.
Abhilfe? Es braucht die Erkenntnis, dass Krankenhäuser nicht wie die Großindustrie mit automatisierter Produktion zu organisieren sind. Schluss mit dem Gewinnstreben im Klinikbereich! Erst kommt der Mensch, dann die Bilanz! Rückführung aller Kliniken – von kleinen spezialisierten Privathäusern im Eigentum von Ärzten abgesehen – in die Trägerschaft der Öffentlichen Hand oder freier, gemeinnütziger Organisationen wie Caritas, Diakonie, Rotes Kreuz etc. Und die Einsicht, dass die Wiederherstellung der Gesundheit der Menschen für die Gemeinschaft aus ethischen Gründen ein Draufzahlgeschäft aus Steuermitteln zu bleiben hat und nicht weiter eine Goldgrube für gierige Aktiengesellschaften darstellen darf.