„Der verlorene Patient“ (Wenn die Krankenkasse nicht zahlt) lautete der Titel einer Fernseh-Reportage, die am 10. Oktober um 20.15 Uhr auf 3Sat ausgestrahlt wurde. Beispielhaft haben TV-Journalisten aufgezeigt, wie menschenverachtend Krankenkassen mit ihren Versicherten umgehen, wenn diese in Not geraten und in hohem Maß auf die Hilfe der großen gesetzlichen Versicherungen angewiesen sind. Mein persönliches, vorweggenommenes Fazit: Da geht es wieder einmal nur um eine Gesundheit: nämlich die der Bilanzen, aber doch nicht um die der lästigen Bittsteller-Versicherten, die impertinent-frech auf dem beharren, was ihnen schlicht und einfach zusteht. Bitte nehmen Sie sich die Zeit und gewinnen Sie selbst einen Eindruck (http://www.3sat.de/mediathek/?mode=play&obj=46705)

Aber geben Sie sich bloß nicht der Illusion hin, es handle sich in den aufgezeigten Fallbeispielen um rare Ausnahmen in einer ansonsten durch und durch patientenorientierten Kassenbürokratie.

Als ehemaliger Kassenarzt weiß ich nur zu gut, dass es sich bei den geschilderten Fällen eben nicht um krasse Ausreißer handelt. Die „Nein Danke“-Mentalität der Kassen ist die Regel, wenn es darum geht, Kosten zu sparen – zum Nachteil der Patienten. Zwei von vielen Beispielen, die mir in diesem Zusammenhang spontan in Erinnerung kommen:

– Einer Patientin, die unter Depressionen litt, hatte ihre Kassensachbearbeiterin eines Freitag vormittags in barschem Tonfall mitgeteilt, dass man ab Montag kein Krankengeld wegen dieser „Drückebergerei“ mehr zahlen wolle. Entweder sie gehe arbeiten oder könne zusehen, wo sie bleibe. Resultat: Akut schwere Dekompensation mit Selbstmordgedanken, notfallmäßige Einweisung in die Psychiatrie. Auf meinen Schreikrampf am Telefon hin (inklusive des mindestens einmaligen Gebrauchs des Wortes „Staatsanwalt“) war die Krankenkassendame auf einmal ganz ruhig und schien von einer gewissen Ängstlichkeit befallen…

– Einem Patienten mit Multipler Sklerose hatte die Kasse den Elektrorollstuhl abgelehnt. Meint der Sachbearbeiter zu mir jovial am Telefon: „Wenn der mit dem Gefährt einen Unfall baut und wir den Rollstuhl genehmigt haben, dann bleiben wir auf den Unfallkosten sitzen. Stellen Sie sich vor, wenn der Tanklaster mit Benzin damals, als halb Herford abbrannte, dem Rollstuhlfahrer hätte ausweichen müssen …“ Keine Ausrede zur Leistungsverweigerung ist abstrus genug, um den Kassen nicht zu taugen.

Übrigens: Massives, wirklich enormes psychisches Leid aus reiner Profitgier der Versicherer gibt es bei Kunden aller Krankenversicherungssysteme: bei den Privatversicherern ebenso wie bei den Gesetzlichen und auch bei den Unfallversicherern, also den Berufsgenossenschaften.

Wer zieht Nutzen aus der Patientenschikane?

– Bei den gesetzlichen Krankenkassen (GKV) und den Berufsgenossenschaften (BG) auf jeden Fall die Arbeitgeber, denen in erster Linie an Nicht-Ausgaben, also niedrigen Beiträgen gelegen ist: Finanzieren sie doch die GKV hälftig und die BG vollständig.

– In der Privaten Krankenversicherung (PKV) die Aktionäre, sofern es sich um eine Versicherung im Rahmen einer Aktiengesellschaft handelt. Weniger Ausgaben heißt unter dem Strich einfach mehr Dividende

– Auf jeden Fall die Vorstände der Versicherer: Weniger Ausgaben = bessere Bilanzen = Erhöhung der Gehälter, Bonuszahlungen etc.

Bräuchte es nicht Gesetze, die die Patienten vor derart dreisten Übergriffen durch die Versicherungen schützen? Endlich den Straftatbestand der „seelischen Grausamkeit“ oder ähnliches? Ja, an sich schon – aber welcher Politiker wird die Initiative ergreifen? Das wäre ja Gesetzgebung gegen die Versicherer – und die Versicherer sind nicht selten künftige Arbeitgeber so manchen jetzigen Politikers (siehe Daniel Bahr), aber natürlich nur, falls er/sie nicht vorher Gesetze gegen künftige Brötchengeber unterstützt hat. Alter Grundsatz: beiße nie die Hand, die dich füttert!

Was können Sie selbst tun? Meine Empfehlung: Treten Sie der Organisation „Bürger Schulterschluss“ bei (http://www.patient-informiert-sich.de) – solidarisch, also noch, bevor Sie (hoffentlich nie) selbst betroffen sind.