Ärzte
verdienen sich an Patienten dumm und dämlich – das weiß doch jedes
Kleinkind. Nein, nein, jetzt kommt keine Jammernummer über das
wenige Geld: Schließlich bin ich seit einem Jahr Ex-Kassenarzt, ich
habe keinen Grund mehr, über die Geringfügigkeit des Anteils am
schnöden Mammon zu lamentieren, das die gesetzlichen Kassen uns
Medizinern zugestehen.

Der
Rest des Textes sollte Sie dennoch brennend interessieren, denn es
wird unter anderem erklärt, warum es so schwierig ist,
Facharzttermine zu bekommen, und warum zum Beispiel Angehörige von
Demenzpatienten zweimal im Quartal stundenlang in Wartezimmern
sitzen, um dann nach zwei Minuten „Sprechstunde“ die Praxis mit
oder ohne einem Rezept zu verlassen.

Bleiben
wir bei meinem Fach und nehmen aus dem Abrechnungskatalog der
Nervenärzte/Neurologen/Psychiater die zwei teuersten und die zwei
billigsten Abrechungspositionen unter die Lupe. http://www.kbv.de/media/sp/EBM_Nervenheilkunde_20141001_OPMBE.pdf)

Zuerst
die beiden teuersten:

EBM-Nr.
16311 Langzeit-EEG, mindestens 2 Stunden Ableitedauer: 55,51 €

Diese
Nummer rechnen extrem wenige Ärzte ab – nur diejenigen aus unserer
Zunft, die den zuvor verkabelten Patienten ein Kästchen umhängen
und mit nach Hause geben, welches nachts Schlafableitungen inklusive
EEG aufzeichnet.

EBM-Nrn.
16230/21230 Zusatzpauschale kontinuierliche Mitbetreuung eines
Patienten in der häuslichen und/oder familiären Umgebung,
mindestens 2 Patientenkontakte im Quartal: 37,99 €

Diese
Abrechnungspositionen sind hochinteressant: Sie können nicht für
alle Patienten angesetzt werden, nur für diejenigen, die an einer
chronischen Erkrankung leiden und zuhause leben – vorausgesetzt, sie
tauchen zweimal im Quartal in der Praxis auf. Ein Hausbesuch ist
nicht erforderlich. Und was muss der Arzt bei solchen „Kunden“
speziell leisten? Hm … – nichts anderes als bei allen restlichen
Patienten auch: zuhören, gegebenenfalls einen Rat erteilen, ein
Medikament aufschreiben etc. Eine echte Zusatzleistung findet für
diese Zusatzpauschale jedenfalls nicht statt.

Die
Negativpositionen sind abrechnungstechnisch:

EBM-Nr.
21217: Supportive psychiatrische Behandlung … eines akut
dekompensierten Patienten: 2,84 €.

(Anmerkung:
je vollendete 10 Minunten Gesprächsdauer darf der Nervenarzt oder
Psychiater – und nur der! – allerdings die Nr. 21220 zu 13,78 € zum
Ansatz bringen).

Immerhin
ist es der Krankenkasse zusätzliche 2,84 € wert, wenn der
Psychiater Herrn Müller davon abhalten konnte, von der Brücke zu
springen.

EBM-Nrn.
16340/21340 Testverfahren bei Demenzverdacht: 1,92 €

Meiner
Meinung nach viel zu hoch bewertet! Den Test führt ja schließlich
die Arzthelferin durch, und die muss mit dem Patienten in der
Testsituation lediglich sehr einfühlsam umgehen und ist schon nach
geschätzten 20 Minuten mit den Prüfungen namens MMST oder DemTect
fertig. Unsereiner braucht dann nur noch einen Blick auf den
Auswertebogen zu werfen.

Die
Frage, die Sie sich nun stellen sollten, lautet: Warum
sind den Kassen bloß die EBM-Nummern 16230/21230 so viel wert, wenn
hinter denen keine echte zusätzliche ärztliche Leistung steckt?

Die
Antwort ist einfach: Diese Nummern dürfen nur angesetzt werden, wenn
der Patient unter bestimmten chronischen Erkrankungen leidet. Diese
Krankheit muss der Arzt in seiner EDV-Kassenabrechnung mit einer
bestimmten ICD-Codenummer verschlüsseln. Damit hat die Kasse den
Nachweis, dass ihr Herr Meier unter z.B. einer Demenz, einem
Parkinson, einer Multiplen Sklerose, einer Epilepsie, einer schweren
Depression etc. etc. leidet. Und durch diesen Nachweis bekommt die
Kasse Geld, klar! Viel mehr Geld übrigens, als sie an den Arzt
weitergibt. Dieses Geld stammt aus dem sogenannten Gesundheitsfonds
in Berlin, bei dem die Kassen zuerst einmal ihre ganzen
Beitragseinnahmen abliefern müssen, und der die Beitragseinnahmen
zwischen den Krankenkassen wieder aufteilt, je nachdem, wie schwer
krank ihre Versicherten sind. Jetzt dämmert’s, oder? Dafür, dass
der Arzt nicht vergisst, der Krankenkasse gegenüber besonders
lukrative Gesundheitsfonds-Diagnosen anzugeben, wird er mit einem
ordentlichen Trinkgeld belohnt, getarnt unter dem Begriff „ärztliche
Leistung“.

Weil
die Gebührenordnung aber für alle Krankenkassen gilt und die Zahl
der leichter und schwerer Erkrankten zwischen den einzelnen Kassen so
unterschiedlich nicht sein wird, ist das Ganze ein Nullsummenspiel –
Beitragsgeld für Bürokratie statt für echte Patientenversorgung.
Und dafür wird noch ein riesiges bürokratisches Monster – eben
jener Gesundheitsfonds in Berlin – gefüttert, pardon: finanziert.

Meine
Idee: Lasst uns doch ein paar Bundeswehrfregatten an Saudi-Arabien
verkaufen (die zugehörigen Hubschrauber sind ja eh nicht mehr
funktionsfähig) und vom erlösten Geld den Gesundheitsfonds
ausbauen! Zusätzliche Verwaltungsaufgaben finden sich bestimmt!

Also:
Was lernen Sie daraus? Nicht
das, was der Arzt an Ihnen wirklich leistet, ist den Kassen Geld
wert. Wichtig für die Kasse ist vielmehr, ob Sie an einer wertvollen
Krankheit leiden oder nicht.

Und damit der Arzt auch wirklich an seine 37,99 € kommt, wird er
Sie zweimal im Quartal in seine Sprechstunde bitten – für einmal im
Quartal gibt’s immerhin auch noch 30,29 € (EBM-Nrn. 16233/21233).

Die
Tochter sitzt mit dem dementen Vater alle sechs Wochen stundenlang im
Wartezimmer und wundert sich, warum das eigentlich sein muss?
Gretchenfrage: „Wer hat´s erfunden“? Antwort: „Die Ärzte
nicht“!

Wundern
beziehungsweise ärgern müssen sich nicht selten bedauernswerte
Zeitgenossen, die wochenlang keinen Nervenarzttermin festlegen
können, obwohl sie ihn wegen chronisch schmerzenden Fingern,
Kopfweh oder ständigen Ängsten dringend bräuchten. Tja, die
kontinuierliche Betreuung nach Nr. 16230/21230 oder 16233/21233
frisst eben doch eine Menge der Sprechzeit auf, die für
Akut-Patienten – die sowieso nicht so rentabel sind – dann halt
nicht mehr zur Verfügung steht.