Gehen wir Gesundheits-Minister Gröhe auf den Leim? Liebe Kolleginnen und Kollegen, heute schlage ich einen kämpferischen Ton an. Zwingend notwendig, wie ich meine. Wo bleibt die politische Auseinandersetzung in der unsäglichen GOÄ-Debatte? Exakter formuliert jene kontroverse Diskussion, die an sich unsere ärztlichen Standespolitiker führen müssten?
Die Gretchenfrage jenseits des Tellerrandes, des Paragraphenteils und den Prozenten der Erhöhung lautet doch: Worum geht es tatsächlich? Wer wahrt wessen Interessen? Zuallererst ist es meiner Meinung nach Aufgabe der Politiker, die Belange aller Beteiligter zu wahren, denn es ist das Kerngeschäft der Politik, den Ausgleich widerstreitender Interessen in der Gesellschaft herzustellen, die es auf allen möglichen Ebenen der Nation fortwährend überall gibt. Im Grundgesetz, welches das Verhältnis des Staates zu seinen Bürgern, aber auch das Verhältnis der Bürger untereinander regelt, soweit sie den Staat per Gesetzgebung oder Justiz um Regelung bitten, ist es im Artikel 3, Absatz 1, fest verankert: „Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich“. Konkret: Ärzte dürfen nicht anders behandelt werden als Notare, Rechtsanwälte, Architekten, Steuerberater oder andere Freiberufler.
Verstoß gegen das Grundgesetz
Die Gebührenordnungen sämtlicher letztgenannter Berufsgruppen sind in den vergangenen 20 Jahren angepasst worden – nur die der Ärzte nicht. Das grundrechtliche Gebot der Gleichbehandlung beschränkt sich jedoch nicht automatisch auf Selbstständige, sondern auch auf Beamte, Abgeordnete oder Angestellte. Jeder, wirklich jeder Berufsstand hat in den letzten zwei Jahrzehnten eine Anpassung, sprich: Erhöhung seines Einkommens erfahren. Keine Frage also – die Nicht-Anpassung der GOÄ verstößt gegen den Art. 3 des Grundgesetzes.
Minister Gröhes Mantra lautet: „Die neue GOÄ muss im Konsens zwischen den Ärzten und dem Verband der privaten Krankenversicherer (PKV-Verband) entwickelt werden“. Dass harmonische Übereinstimmung mit einem fairen Ergebnis nicht zustande kommen kann, ist ebenso absehbar, wie wenn die Diätenerhöhung der Bundestagsabgeordneten im Konsens zwischen einem Gremium von Abgeordneten und einem Arbeitskreis aus dem Bevölkerungsdurchschnitt (incl. Hartz-IV-Empfängern) verhandelt werden müsste.
Politische Schläue, Herr Gröhe? Hoffnung auf Dummheit der Ärztevertreter, sich auf solche Bedingungen einzulassen? Die bisherigen Verhandlungsergebnisse lassen andere Konstellationen vermuten: Eine Interessenvertretung im Sinne der Krankenversicherer! Denn sämtliche rekrutierten Verhandlungsführer aus der Ärzteschaft werden zusätzlich für Nebenjobs von privaten Krankenversicherern bezahlt (worin die Herrschaften freilich kein Problem sehen).
Gröhes billiger Trick
Aus dieser Perspektive lassen sich avisierte Volumenerhöhungen von 5,8 Prozent bei 32,8 Prozent Inflationsrate seit dem Inkrafttreten der „aktuellen“ GOÄ 1996 erklären und Änderungen im Paragraphenteil, mit denen die Versicherer letztlich dem Arzt vorschreiben, welche Leistungen er in welchem Umfang abrechnen darf und welche nicht. Die ärztlichen Verhandlungsführer hatten die Ausgestaltung der neuen Gebührenordnung praktischerweise ja gleich den Versicherern überlassen und ihnen dafür auch noch einen siebenstelligen Eurobetrag überwiesen (nein, es sitzt noch keiner von den Herren Ärzten im Gefängnis!).
Die Moral von der Geschicht: Der Bundesgesundheitsminister trickst, indem er vordergründig vernünftige, de facto aber unerfüllbare Bedingungen stellt. Ihm ist klar, dass er mit dem Interessensausgleich, dem ihm der Artikel 3 des Grundgesetzes für die ärztliche Gebührenordnung abverlangt, große Löcher in die Kassen der öffentlichen Hand reißen würde, denn die öffentliche Hand ist bekanntermaßen über die Beamten-Beihilfen an der Krankenfinanzierung mit Milliarden beteiligt. Andererseits haben die Ärzte die Beihilfen nicht etabliert. Ein „Sonderopfer Ärzte“ für das politische Konstrukt „Beihilfe“ verstößt gerade gegen jenen Gleichbehandlungsgrundsatz im Grundgesetz.
Und die privaten Krankenversicherer? Die würden eventuell auch in finanzielle Schwierigkeiten gelangen, wenn die Gebührenordnung kräftig ansteigen würde. Obwohl sie von den Medizinern in den letzten 20 Jahren finanziell unfreiwillige, kräftige Unterstützung erfuhren, da durch die Nicht-Anpassung der GOÄ jede Rechnung im Zeitraum von 1996 bis 2015 im Durchschnitt durch die Inflation um 16,1 Prozent entwertet wurde. Das stellt seitens der Ärzte ein reelles Sonderopfer in Milliardenhöhe gegenüber Versicherern und Staat dar. Außerdem: Das PKV-Management bedient sich aus den selben Prämieneinnahmen der Versicherten, aus denen auch die Arztrechnungen bezahlt werden. Hartnäckigen Gerüchten zufolge sollen die Einkünfte des Managements seit 1996 um über 600 Prozent gestiegen sein…
Auf der Gehaltsliste des „Feindes“
Nun könnte man auf böse Gedanken kommen und mutmaßen, dem Bundes-Gesundheitsminister sei durchaus klar, dass die Ärzte-Verhandlungsführer allesamt auf der Gehaltsliste des „Feindes“ PKV stehen, der sozusagen der natürliche Verbündete der Beihilfen und damit der Politik ist. Brauen da Politik, PKV und vom Feind bezahlte Ärztefunktionäre ein gar übles Süppchen zusammen, das die Ärzteschaft dann auszulöffeln hat? Gut getarnt als pseudodemokratische Verhandlung zwischen Bundesärztekammer und Versicherern auf Bitten des Ministers? Honi soit, qui mal y ponse, sagt der Franzose augenzwinkernd – auf gut deutsch: Ein Schwein, wer so schlecht denkt! Und wer will denn schon beim Anblick des redlichen Herrn Gröhe an ein Schwein denken!
Herr Minister, Sie sind am Zug: Denken Sie an Ihren politischen Auftrag, nehmen Sie die Sache endlich ernst. Den Interessen von PKV und Beihilfen zu Lasten der Ärzte wurde bereits über zwei Dekaden milliardenschwer Rechnung getragen. Verfassen Sie jetzt eine Gebührenordnung für Ärzte – wenn es sein muss, auch ohne deren Mitwirkung. Auf jeden Fall aber ohne solche Kandidaten, die auf der Gehaltsliste teils sogar mehrerer privater Krankenversicherer stehen!
Allen voran der Präsident der Bundesärztekammer, Montgomery. Schreiben Sie diese Gebührenordnung ganz im Geiste des Art. 3 GG. Falls wir Mediziner dann der Meinung sind, dass es der Geist der Verfassung nicht bis in Ihr Haus geschafft hat, bleibt uns noch der Weg nach Karlsruhe vor das Bundesverfassungsgericht. Aber die Blöße, sich von den obersten Richtern bestätigen zu lassen, eine untaugliche Verordnung verfasst zu haben, werden Sie sich bestimmt nicht geben wollen, oder?
Alternative „Einfach liegen lassen“? Das hat Ihrem Vorgänger im Amte, Daniel Bahr, als Belohnung zwar prompt einen Managerposten bei der Allianz PKV eingebracht, der sicher um ein Vielfaches höher dotiert ist als Ihr Ministergehalt. Der Mann war allerdings bei der FDP, bei der das „F“ ja immer für die Freiheit des Stärkeren, hier der Versicherer steht. Das kann doch nicht auch Ihre Haltung sein! Noch eine Alternative: Schaffen Sie die GOÄ ab. In Italien klappt die medizinische Versorgung auch mit freier Preisvereinbarung zwischen Arzt und Patient.