Ach, es fehlt an Medizinstudienplätzen? Diese Erkenntnis ist inzwischen offenkundig in der Kommunalpolitik angekommen, wie der Artikel „Niedersachsens Gemeinden fordern mehr Studienplätze“ im geschlossenen Ärzteforum „änd“ vom 15.06. vermuten lässt. Die KV – also die „Kassenärztliche Vereinigung“ – soll es richten:
„Die medizinische Versorgung auf dem Land muss besser werden. Darin sind sich der Niedersächsische Städte- und Gemeindebund (NSGB) und die KV Niedersachsen einig.Für Gesprächsstoff war also gesorgt, als sich Bürgermeister und KV-Vertreter jüngst zur ersten Sitzung des neu eingerichteten Arbeitskreises „Ärztliche Versorgung“ im NSGB trafen.
Am Ende verständigten sich die Teilnehmer des Treffens denn auch auf eher unverfängliche Forderungen: Von mehr Studienplätzen, die nötig seien, ist die Rede. ‚Wenn wir es heute nicht schaffen, ausreichend Studienplätze bereitzustellen, dann fehlen uns morgen die Ärzte‘, wird Trips in der NSGB-Mitteilung zitiert. Daher müsse sich bei diesem Thema dringend etwas bewegen. Nur so könne man künftig eine ausreichende medizinische Versorgung im ländlichen Raum sicherstellen.“
Nüchterne Zahlen zur Aufklärung
Ein paar nüchterne Zahlen gefällig? 1989 – im letzten Jahr vor der Wiedervereinigung – gab es in der BRD West 85.901 Medizinstudenten. Es folgte die Wiedervereinigung, mit ihr kamen acht ostdeutsche medizinische Fakultäten dazu und die Zahl der Einwohner stieg von etwa 60 Millionen in Deutschland West auf ungefähr 80 Millionen in Gesamtdeutschland.
Die Zahl der Medizinstudenten hingegen sank (!) in Gesamtdeutschland bis zum Wintersemester 2007/08 auf 78.545. Zum Wintersemester 2013/14 war sie allmählich auf 86.376 angestiegen und befand sich damit in etwa auf dem westdeutschen Niveau vor dem Mauerfall – gerade so, als ob die dazugekommenen Neubürger aus Deutschland Ost keine zusätzlichen Ärzte bräuchten.
So, und nun reduzieren sich diese Medizinstudenten im Vergleich zu früheren Jahren auch noch durch höhere Studienabbruchquoten (früher nahe Null, inzwischen circa zwanzig Prozent).
Mehr Teilzeitarbeit durch hohen Frauenanteil
In der Berufsausübung wird sich der hohe Frauenanteil der Studenten durch mehr Teilzeitarbeit bemerkbar machen. Anders formuliert: durch fehlende Arztstunden von den üblicherweise Vollzeit arbeitenden Männern in der Versorgung! Nein nein, das hat nichts mit „Macho“ zu tun, das ist schlichte Realität! Und wissen Sie was: Die Kolleginnen haben verdammt recht, wenn sie „nur“ halbtags arbeiten wollen, um sich „nebenbei“ noch den Luxus von Kind oder gar Kindern zu gönnen.
Sie können es drehen und wenden, wie Sie wollen: Der Ärztemangel wird immer spürbarer werden. Und wenn die Damen und Herren von der Politik jetzt so sehr über den Landarztmangel jammern – warum wurden denn vor einem Jahr die Terminservicestellen für die Fachärzte eingeführt? Weil es bei den Fachärzten Überfluss an Manpower und Terminen gibt?! Alles Polit-Augenwischerei! Bei Fachärzten ist die Mangelsituation auch nicht besser als bei den Allgemeinärzten.
Worum kümmert sich Minister Gröhe? Ah, ja richtig: Um die Geschäfte der IT-Industrie: auf dass diese möglichst bald tolle Umsätze durch Zwangsanbindung aller Praxen an die Server der gesetzlichen Krankenkassen macht. Und – zweitens – genauso wichtig: dass die Gebührenordnung für die Privatpatienten nach 21 Jahren ohne Anpassung um maximal zirka sechs Prozent erhöht wird – gestreckt auf drei Jahre, versteht sich. Denn man will ja die privaten Versicherungskonzerne nicht überfordern. Aufsichtsratssitze und Managerposten für abgehalfterte Politiker wie zum Beispiel den Vorgänger in Gröhes Amt, Daniel Bahr, der bestens bezahlt im Vorstand der Allianz Krankenversicherung untergekommen ist, werden so frei gehalten.
Politik gießt Öl ins Feuer
Da braucht es nicht zu verwundern, dass bei diesen „super“ Motivationen seitens der Bundespolitik immer weniger Ärzte in die Niederlassung streben.
Ob den Damen und Herren Bürgermeistern, die das Aussterben der Landärzte beklagen, schon einmal durch den Kopf gegangen ist, dass ihre großkopferten Parteifreunde in Berlin an den Schaltstellen der Macht Schuld sind an der Misere des Ärztemangels? Ob den Lokalpolitikern klar ist, dass die Bundespolitiker bis jetzt nichts anderes machen, als weiter Öl ins Feuer des ärztlichen Versorgungsmangels zu gießen?
Aber die KVen, mit denen die Lokalpolitiker reden, die können es doch richten, oder? Kassenärztliche Vereinigungen als Ansprechpartner sind schlicht ungeeignet, denn sie haben de facto keinen Handlungsspielraum. KVen sind nichts anderes als die ausführenden Organe zur Gesundheitspolitik der Bundes- und Landespolitik. Sie sind an die Weisungen der jeweiligen Landesgesundheitsministerien gebunden.
Arroganz ließ etablierte Parteien verschwinden
Der Politik sind die KVen lediglich wertvolles Feigenblatt für eigenes gesundheitspolitisches Versagen mit dem tausendmal formulierten, aber stets unehrlichen Satz: „Da hat die ärztliche Selbstverwaltung versagt.“ Wer in Wirklichkeit nichts zu melden hat, der hat auch keine Schuld an irgendeinem Versagen! Meine Meinung: Weg mit den ganzen KV-Pseudoselbstverwaltungen! („Nee, behalten wir“, denken sich die Politiker, „kostet uns nix, zahlen ja die Ärzte durch Vorwegabzug von dem, was ihnen die Kassen überweisen, und uns bleibt der Watschnmann KV!“)
Die Arroganz der Macht hat die etablierten Parteien in Italien schon vor Jahrzehnten von der Bildfläche verschwinden lassen. In Frankreich findet dieser Prozess derzeit statt. Meiner Überzeugung nach hat das Kollabieren der ärztlichen Versorgung auf dem Land durchaus die Potenz, einen entsprechenden Wandel im deutschen Parteienspektrum herbeizuführen. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis irgendeine politische Kraft dieses Thema für sich entdeckt und sich mit dem Volk gegen die Interessen der IT-Industrie und denen der Versicherungskonzerne verbündet.