Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe fordert von den Kassenärztlichen Vereinigungen in forschem Ton „größere Anstrengungen zur Behebung des Hausärztemangels“. Man solle die gesetzlichen Möglichkeiten nutzen und gezielt Anreize für die Niederlassung von Ärzten schaffen. Etwa durch Zuschüsse für die Praxis-Neueröffnung, Stipendien für angehende Landärzte oder die Förderung flexibler Arbeitszeitmodelle. Das meldete der Ärztliche Nachrichtendienst (änd) aus Hamburg in seinem Internetforum „Hippokranet“ am 3. Juli 2016.
Wessen Geld ist es eigentlich, das Gröhe da so großzügig nach Gutsherrenart verteilt wissen will? Die finanziellen Mittel der Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen) stammen von den gesetzlichen Krankenkassen. Diese haben es an die KVen zur Behandlung ihrer Versicherten überwiesen. „Mit befreiender Wirkung“. Im Klartext: mehr gibt’s nicht. Egal, ob eine Grippewelle tobt oder nicht.
Woher sollen die Mittel kommen?
Dass die überwiesenen Summen die ärztlichen Leistungen Quartal um Quartal nur zu etwa 85 Prozent decken, also 15 Prozent aller ambulanten Arztleistungen nicht honoriert werden („Budgetüberschreitung“), habe ich in diesem Blog schon des Öfteren beklagt und angeprangert. Aber dass von diesem eigentlich gar nicht vorhandenen „Vermögen“ Ärzte jetzt zusätzlich etwas zur Nachwuchsförderung abzweigen sollen, ist mit den Kassen schon gar nicht ausgemacht. Dieses Geld würde nämlich für die Behandlung der gesetzlich versicherten Patienten fehlen.
Warum gibt es eigentlich einen Ärztemangel? Zur Erinnerung vorweg ein paar Fakten, entnommen aus meinem Blogbeitrag vom 21.04.2015, übertitelt „Ärztebashing ist erst der Anfang“:
„Notizen aus der Provinz: ‚Gehen uns die Ärzte aus?‘ lautete neulich die Frage irgendwo auf dem flachen fränkischen Land beim Diskussionsabend zu eben diesem Thema. Gleich zu Beginn wollte jemand aus dem Publikum vom Herrn aus dem Bayerischen Gesundheitsministerium wissen, wie sich denn die Zahl der Medizin-Studienplätze entwickelt habe? „Das habe ich nicht parat, aber …“ sprach der Beamte und leitete einen etwa zehnminütigen, diffusen Monolog ein, in dem er viel sprach aber nichts sagte. Nach dem verwirrenden Sermon konnte unsereiner die gewünschte Antwort liefern: 1989 – im letzten Jahr vor der Wiedervereinigung – gab es in der BRD West 85.901 Medizinstudenten. Es folgte die Wiedervereinigung, mit ihr kamen acht ostdeutsche medizinische Fakultäten dazu und die Zahl der Einwohner stieg von etwa 60 Millionen in Deutschland West auf ungefähr 80 Millionen in Gesamtdeutschland. Die Zahl der Medizinstudenten hingegen sank (!) in Gesamtdeutschland bis zum Wintersemester 2007/08 auf 78.545. Zum Wintersemester 2013/14 war sie allmählich auf 86.376 angestiegen und befand sich damit in etwa auf dem westdeutschen Niveau vor dem Mauerfall. …
Auf die Frage, weswegen denn die Zahl der Medizinstudenten so stark reduziert worden sei, wusste niemand eine Antwort. Meine Erläuterung: Ein einziger angehender Mediziner kostet den Staat bis zum Ende seines Studiums 180.000 bis 200.000 Euro. Ein Jurist hingegen nur 20.000 bis 25.000 Euro. Die Priorität, die der ’schwarzen Null‘ in den Haushalten eingeräumt wird, kann Menschenleben kosten, was billigend in Kauf genommen wird.“
Den Nachwuchs in die Falle locken
Fassen wir zusammen: Die Politik hat wegen der hohen Kosten an Medizinstudienplätzen gespart, der Ärztemangel macht sich immer drastischer bemerkbar. Was fällt dem Herrn Minister ein, wenn ihm nur einfällt, niedergelassene Ärzte, die sowieso im Durchschnitt 15 Prozent der Behandlung der Kassenpatienten pro Quartal nicht erstattet bekommen, anzuweisen, rasch zusätzliches Geld aus einem leeren Honorartopf zu zaubern und damit ihr eigenes, markant beschnittenes Salär weiter zu mindern? Beachtliche Summen sollen sie investieren, um Nachwuchskollegen in die Niederlassungsfalle zu locken, damit diese in naher Zukunft gemeinsam mit jenen „Rattenfängern“ die Situation der Mangelbezahlung verfluchen.
Auf den Punkt gebracht: Vom Staat eh schon geprellte Mediziner müssen für die Folgekosten einer verfehlten Medizinstudienplatz-Sparpolitik büßen.
Sagen Sie mal, Herr Minister: Geht’s noch? Wenn Sie wirklich zu Ihren Worten stehen, würde ich Ihnen dringend empfehlen, sich in Berlin vertrauensvoll an einen meiner Fachkollegen zu wenden. Wir alle sind mit dem Schicksal bedauernswerter, an eklatanter Realitätsverkennung leidender Menschen bestens vertraut und wissen, wie man helfen kann. In Ihrem speziellen Fall tippe ich allerdings darauf, dass nicht von Realitätsverkennung, sondern von Infamie auszugehen ist.
Ein Appell an Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen: Gröhes Äußerungen machen einmal mehr deutlich, was die KV ist und was sie nicht ist: ein Instrument zum Ge- respektive Missbrauch durch die Politik, ein Gängelungsapparat für Ärzte, irrsinnigerweise von diesen selbst finanziert und von überwiegend skrupellosen Medizinern geleitet, die sich ihr Gewissen für unverschämt überzogene Funktionärsbezüge abkaufen lassen. Aber eine Interessenvertretung der Ärzte – das ist die KV nicht! Lassen Sie uns alles daran setzen, um diese Institution endlich abzuschaffen! Und wünschen wir Herrn Gröhe kollektiv entweder „Gute Besserung“ oder Reue und Einsicht!