Kennen Sie den Unterschied zwischen Chemie und Physik? Einfaches Merkmal beim Experiment: Chemie ist, wo es stinkt. Oder historisch: Chemiker nannten sich früher Alchimisten und versuchten, aus Dreck Gold zu machen. Physiker hingegen haben sich schon immer mit allerlei Rätseln der unbelebten Natur beschäftigt.
Galileio Galilei versuchte bereits in der frühen Neuzeit zu messen, ob Licht eine Geschwindigkeit hat? Er kam zum Ergebnis „falls ja, dann ist diese Geschwindigkeit so hoch, dass ich sie nicht messen kann“. Isaac Newton grübelte, warum der Apfel vom Baum nach unten und nicht nach oben fällt und Kepler hat sich mit der Umlaufbahn der Sterne befasst.
In der Schule und an Universitäten sind Chemie und Physik weiter getrennte Fächer, und das ist durchaus berechtigt! Ist doch der Stoffumfang in beiden Disziplinen so unendlich, dass es aus praktischen Gründen keinen Sinn machen würde, sie zusammenzulegen. Falls Sie einen Chemiker oder Physiker fragen, werden ihnen beide bestätigen: Chemie ist ein Teilgebiet der Physik. Und zwar dasjenige, das sich mit der Materie oberhalb der Größe der Materie in der Atomphysik, aber unterhalb der Größe der Materie in der Mechanik beschäftigt.
Letztlich geht es – wie fast immer in der Physik – um Kraft, Energie und ihre Auswirkungen. Im Falle der Chemie: mit welchen Kräften wirken Atome aufeinander ein, welche Bindungen entstehen dadurch (Moleküle genannt), welche Energie wird dadurch frei (und umgekehrt) – die ganz üblichen Fragen der Physik eben.
„Nicht schaden“ bringt Gewinn
Und jetzt zu einem vordergründig ganz anderen Thema: Wie kam der Erlanger Arzt Samuel Hahnemann anno 1796 auf die Homöopathie? Damals wütete eine Krankheit, die die Menschen schleichend, aber in Massen dahinraffte und von der zum Beispiel in den USA vor Erfindung des Penicillins, also noch in den 1930er Jahren, ca. ein Drittel der Bevölkerung betroffen war. Die Syphilis! Nun war die Medizin auch zu Hahnemanns Zeiten nicht ganz hilflos. Es gab ein recht gut wirksames Mittel gegen Syphilis, nämlich Quecksilber.
Pech nur, dass die Patienten schneller an der Quecksilbervergiftung dahinsiechten als an der Syphilis. Früh hat Hahnemann erkannt. „Zu Risiken und Nebenwirkungen zerreissen Sie die Packungsbeilage und schlagen Sie Ihren Arzt oder Apotheker!“ Oder auf Hahnemanisch: „Nil nocere!“. Auf gut deutsch gesagt: „Nicht schaden!“.
Und welches universelle „Heilmittel“ schadet garantiert nicht? Bingo – Wasser! Aber den Leuten statt Quecksilber einfach nur Wasser verordnen? Darin lag wohl der zweite Geistesblitz Hahnemanns begründet: Geht nicht, das nimmt den Placebo-Effekt (um den Hahnemann sehr wohl wusste, auch wenn die Vokabel noch lange nicht erfunden war). Also brauchte es einen möglichst komplexen ideologischen Überbau, denn je komplexer, desto besser „wirkte“ das Placebo. So hat er zuerst die Lehre vom „simile similibus“ erfunden (Ähnliches mit Ähnlichem behandeln, zum Beispiel Schreckhaftigkeit mit Springkraut, wenn ich mich nicht irre).
Wer verdünnt, der potenziert
Damit aber sein „nil nocere“ auf jeden Fall weiter galt, hat er alles „Similibus“ – bis zur Nicht-Nachweisbarkeit – verdünnt. Und gleich noch eins draufgelegt. Das Schütteln bei der Verdünnung musste durch zehn Stöße gegen ein Lederkissen Richtung Erdmittelpunkt vollzogen werden. Und zwar nur bei Vollmond! Interessant. Ich habe mal einen Bericht über die Produktion von Homöopathika im Fernsehen gesehen.
Da hat tatsächlich eine Riesen-Maschine ein Riesen-Gefäß gegen ein Riesen-Lederkissen gestoßen. Ob in jener Fabrik allerdings nur bei Vollmond produziert wird, blieb ein Rätsel. Umso mehr verdünnt wird, desto stärker wirkt das homöopathische Medikament angeblich, weswegen das Verdünnen ja in der Sprache der Homöopathen logischerweise „potenzieren“ heißt. Das Wort „potent“ kennen Sie aus anderen Zusammenhängen als Synonym für „besonders leistungsfähig“.
Halt ganz das Gegenteil von impotent. Wenn ein homöopathisches Medikament zum Beispiel die Potenz D 30 hat, bedeutet das, dass vom eigentlichen Wirkstoff ein Milliliter genommen, mit neun Millilitern Wasser aufgefüllt, durch Schütteln „potenziert“ (D1, „D“ steht für „decem“, lateinisch 10, weil jetzt eins zu zehn verdünnt ist), davon wieder ein Milliliter genommen, mit neun Millilitern Wasser aufgefüllt wird (D2, zweiter Verdünnungsschritt à 1:10)… Und so weiter. Bei D30 ist diese Prozedur 30 mal durchgeführt worden und die Verdünnung sehr, sehr, sehr extrem.
Kluge Köpfe haben es für D30 ausgerechnet und in verständliche Worte gefasst: „Wie wenn man einen Zuckerwürfel in den Atlantik werfen und umrühren würde“. Anders ausgedrückt ist die Wahrscheinlichkeit, dass in der Endverdünnung auch nur noch ein einziges Molekül der Ausgangssubstanz vorhanden ist, weniger als 1:1 Milliarde, womit das „Medikament“ nach Begrifflichkeit der Homöopathen als extrem leistungsstark gilt. „Tja“, erwidern an diesem neuralgischem Punkt mit schöner Regelmäßigkeit die Homöopathie-Fans, „chemisch ist nichts mehr drin – aber physikalisch!“. Falls Sie meinen, sich diesem Einwand anschließen zu müssen, dann lesen Sie jetzt bitte nochmal den allerersten Absatz oben.
Nur „doppelblind“ sieht man wirklich gut
Nun gut. Dass die Hahnemann-Syphilitiker weniger Nebenwirkungen und damit mehr Lebensqualität hatten und nebenbei später an Syphilis als früher an Quecksilbervergiftung starben, blieb auch Hahnemanns Zeitgenossen nicht verborgen. Hokuspokus, Simsalabim – hat sich die Homöopathie etabliert! Sie wird sich auch weiter halten, solange die Menschheit es oftmals lieber mit dem Aberglauben als mit aufgeklärter Medizin hält, die ja verlangt, dass der Nachweis der Wirksamkeit eines Medikaments mit sogenannten Doppelblindstudien erbracht wird.
Ein Teil der Patienten erhält das echte Medikament, der andere ein Placebo. Damit nicht einmal der Behandler durch sein Verhalten bei der Verordnung den Patienten psychisch positiv oder negativ beeinflussen kann, weiß selbst er nicht, ob er das echte Medikament oder Placebos verabreicht hat. Er protokolliert nur den Heilverlauf. Arzt und Patient wissen beide nicht, ob mit dem echten oder dem Scheinmedikament behandelt wird. Sie sind „doppelblind“.
Welch Wunder! Bis wurde kein einziges homöopathisches Arzneimittel in einer Doppelblindstudie untersucht und getestet. Chemische Medikamente hingegen werden ohne mehrere solche Studien mit positivem Wirkungsnachweis nicht zugelassen.
Übrigens: Auf die Lebenserwartung hat sich die Homöopathie nicht ausgewirkt (Anhang). Allerdings fing anno 1898 mit dem Patent auf „Aspirin“ der Siegeszug der Chemie in der Medizin an. Seitdem vergiften wir Ärzte unsere Patienten mit immer mehr Chemie, und pardauz: die Lebenserwartung der Bevölkerung steigt und steigt und steigt. Seltsam, nicht wahr? Schlussfolgerung: Wenn Menschen durch Ärzte chemisch vergiftet werden, leben sie länger, weswegen der Einsatz chemischer Medikamente pures Gift ist – aber nur für die Renten-, Kranken- und Pflegeversicherungen! Vielleicht sollte mancher Zeitgenosse sein Weltbild über Natur und Chemie in der Medizin angesichts der hier geschilderten, knallharten Fakten überdenken.
Lukrativer Zauber der Esoterik
Ist ja o.k., könnte man meinen, die Menschen geben für so viel Unfug Geld aus! Was soll´s? Der Placebo-Effekt ist nachgewiesen wirksam. Der kann sich sogar bei bei intelligenten Tieren (Pferden, Hunden, Katzen) vom gläubigen Frauchen (Herrchen sind in der Regel weniger brauchbar) auf das sensible Vieh mit seinen durchaus vorhandenen sensiblen Antennen übertragen. Sollen sich Menschen, die unerschütterlicher Überzeugung sind, doch Homöopathie leisten. Der Glaube versetzt bekanntlich Berge.
Allerdings. Aber soll Aberglauben von gesetzlichen Krankenkassen unterstützt und finanziert werden? Etliche dieser Unternehmen bezahlen ihren Versicherten nämlich homöopathische Produkte. Nicht etwa, dass die Damen und Herren in den Management-Etagen von Homöopathie überzeugt wären. Die Rechnung geht anders auf. Homöopathie-Befürworter verdienen meist überdurchschnittlich gut. War schon immer so. Wahrsager und sonstige Esoterik konnten sich seit jeher nur die Reichen leisten.
Wer überdurchschnittlich gut verdient, bezahlt auch überdurchschnittlich hohe Beiträge. Für mich hat das alles trotzdem ein „G’schmäckle“. Gegen Etliches, was Patienten wirklich bräuchten, wehren sich die Kassen mit Händen und Füßen – selbst wenn es sich unter dem Strich rechnen würde.
Unsereiner hat zum Beispiel im Namen mehrerer MS-Patienten bei diversen Kassen vor einigen Jahren angefragt, ob sie Dimethylfumarat aus der Herstellung der Apotheke bezahlen würden? Tagestherapiekosten um die 3,70 Euro – statt 45 (!) Euro für Beta-Interferon. Einstimmige Antwort: Nein, nein, nein! Unsereiner – damals noch Kassenarzt – hätte alleine mit dieser Medikamentenumstellung bei MS den Versicherern mehr Geld einsparen können, als ihm die Kassen für alle seine Patienten zusammen (alle – nicht nur die MS-Patienten!) an Honorar bezahlt haben.
Aber es hat nicht sein sollen. Als Dimethylfumarat dann für 77 (!!) Euro Tagestherapiekosten in den Handel kam, war es plötzlich ganz in Ordnung für die Kassen. Verstehen Sie anhand dieses krassen Beispiels jetzt, nach welchen Kriterien pfiffige Kassen-Manager Homöopathie bezahlen, aber keine dichten Windeln? Ich nicht – Gott sei Dank bin ich kein Kassenarzt mehr! Ganz nach Shakespeare: Ist es auch Wahnsinn, so hat es doch Methode!
Anhang:
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