Ärztliche Berufsverbände haben zweierlei Zweck: Zum einen organisieren sie Fortbildungen für ihr Fachgebiet,
um ihre Mitglieder medizinisch auf dem Laufenden zu halten. Zum anderen sind sie berufspolitische Interessenvertretungen. Einige Berufsverbände wie zum Beispiel der „Berufsverband niedergelassener Fachärzte“, der
„Hartmannbund“ oder die „Freie Ärzteschaft“ sind ausschließlich berufspolitisch aktiv.

Neulich wurde eine „Resolution der Konzertierten Aktion der Kassenärztlichen Bundesvereinigung und
von Berufsverbänden“ gegen das geplante GKV-Versorgungsstrukturgesetz verabschiedet. Unterzeichnet von 53 (in Worten: dreiundfünfzig!) Repräsentanten ärztlicher Berufsverbände, unter denen sich solche Exoten wie
der „Berufsverband der deutschen Haemostaseologen“ befinden. (Was Sie schon immer wissen wollten: Haemostaseologen beschäftigen sich mit der Blutgerinnung).

Einige wichtige Informationen:

1. Im aktuellen Deutschen Ärzteblatt findet sich die Einladung der Bundesärztekammer zum 118. Deutschen
Ärztetag, der im Mai in Frankfurt /Main stattfindet.

2. Die aktuell gültige Gebührenordnung für Ärzte, die die Abrechnungsvorschriften unter anderem gegenüber
Privatpatienten regelt, stammt von 1996, wurde also seit 19 Jahren nicht mehr angepasst. Allein um die Inflation in diesem Zeitraum auszugleichen, wäre eine Steigerung von 32,5 Prozent erforderlich. Hinzu kommt, dass durch
die inflationsbedingte Entwertung der Gebührenordnungspositionen jede Privatrechnung zwischen 1996 und 2014 im Durchschnitt um 16,68 Prozent weniger wert ist als am 1. Januar 1996. Diese Rechnung habe ich bereits mit Schreiben
vom 03.09.2014 gegenüber dem Vorsitzenden der Bundesärztekammer, Herrn Professor Montgomery, aufgemacht (sh. unten, wobei ich die Entwertung der Privatrechnungen von 1996 bis 2014 anhand der aufs ganze Jahr hochgerechneten
Inflationsrate im ersten Halbjahr 2014 noch zu hoch mit 17,26 Prozent geschätzt hatte). Dieser Brief war selbstredend nicht beantwortet worden. Den Vorsitzenden der Freien Ärzteschaft, W. Diedrich, und des Bayerischen Facharztverbands,
Dr. W. Bärtl, war das Schreiben nachrichtlich zugegangen.

3. Inzwischen habe ich herausgefunden, dass der Vorsitzende der Bundesärztekammer, Montgomery,
als Aufsichtsrat des Deutschen Ärzteversicherung – einer hundertprozentigen Tochter des AXA-Konzerns – Geld von eben diesem Konzern erhält, wo doch die privaten Krankenversicherer die Gegenpartei der Ärzte sind, wenn es
um die Verhandlungen um eine Anpassung der GOÄ geht. (sh. weiter unten im Blog http://blog.krankes-gesundheitssystem.com/#home.3 „Dysfunktionale Funktionäre, Teil 1“).

4. Vor kurzem ist durchgesickert, dass die GOÄ um ein Gesamtvolumen von sechs Prozent angehoben werden soll.
Ein lächerlicher Betrag angesichts allein einer Inflation von 32,5 Prozent im Zeitraum der Gültigkeit. Dass die Sache zum Himmel stinkt, liegt auf der Hand (sh. http://blog.krankes-gesundheitssystem.com/#home.3 „Tragende,
tragische Rolle“).

Ab hier kommen die Berufsverbände ins Spiel. Es stellt sich die Frage: Werden diese Organisationen als ärztliche
Interessenvertreter Herrn Montgomery auf dem Deutschen Ärztetag in Frankfurt zur Rede stellen und ihn – wie es die Sachlage verlangt – zum Rücktritt auffordern? Besonders verantwortlich sind hier natürlich die „Freie
Ärzteschaft“ und der „Bayerische Facharztverband“, denn diesen ist der Sachverhalt spätestens seit dem Schreiben vom 03.09.2014 bekannt. Haben diese Berufsverbände auf die Verhandlungsführung der Bundesärztekammer
zur GOÄ eingewirkt? Oder wird die Angelegenheit in Frankfurt unter den Teppich gekehrt und vom Mantel des Schweigens erstickt? Dann allerdings stellt sich die Frage nach der Glaubwürdigkeit der involvierten Berufsverbände.
Wollen sie tatsächlich mit Ihren Beiträgen weiter Verbände unterstützen, die allenfalls verbal aufbegehren, aber faktisch offenkundig etablierter Teil eines berufspolitischen Klüngels sind?

Der Brief an Professor Montgomery

Dr. Chr. Nunhofer, 92318 Neumarkt/OPf.

Herrn Prof. Dr. med. Frank Ulrich Montgomery 03.09.2014

Arbeitsgemeinschaft der deutschen Ärztekammern
Herbert-Lewin-Platz 1
10623 Berlin

per Brief, vorab per Fax: 030/40 04 56-707

nachr. per e-mail:

– Herrn Dr. W. Bärtl, Bayerischer Facharztverband

– Herrn Dr. W. Dietrich, Freie Ärzteschaft

– diverse Kolleginnen und Kollegen

– ZDF, Redaktion Frontal 21

GOÄ-Novelle

– stiller Rabatt der Ärzteschaft an die PKV von 17,26% auf jede Rechnung seit 1996

– Steigerung der Bezüge der PKV-Vorstände seit 1996

– volkswirtschaftlicher Schaden durch Ärzteabwanderung ins Ausland allein 2013 von

382 Millionen Euro

Sehr geehrter Herr Präsident,

lassen Sie mich in zur bevorstehenden GOÄ-Reform einige Anmerkungen machen, die sowohl die wirtschaftlichen
Fakten als auch die Verhandlungsführung seitens der BÄK betreffen:

Die Verhandlungen über die Weiterentwicklung der GOÄ lassen sich nicht losgelöst von der Teuerungsrate
und von der Lohnentwicklung im Land seit 1996 führen. Konkret von Interesse müssen die Einkommensentwicklungen der anderen an den Verhandlungen beteiligten Parteien sein, denn nur die Betrachtung dieser ermöglichen es,
einen gerechten Maßstab zu finden.

– Die Teuerungsrate wird sich seit 1996 bis zum 31.12.2014 auf 33,2% aufsummieren; die Jahresteuerungsraten
stammen von „destatis“, der Wert für 2014 mit 1,4% ist aus dem Halbjahresergebnis von Januar bis Juni aufs ganze Jahr extrapoliert.

– Die Diäten und Zulagen der Bundestagsabgeordneten werden sich im selben Zeitraum um 48,98% erhöht haben.

– Durch die ausbleibende Anhebung der GOÄ wird demnach 2014 jede Privatliquidation 33,2% weniger wert sein
als eine Rechnung 1996. Aber auch in all den Jahren zuvor wurden unsere Rechnungen mit zunehmendem Zeitabstand von 1996 durch die Inflation sukzessive entwertet. Durch diesen Effekt gewähren wir inzwischen für den Zeitraum
1996 bis 2014 den Versicherern und den Beihilfen einen stillen Rabatt auf all unsere Rechnungen von durchschnittlich 17,26%. Selbst bei einer Anhebung des GOÄ-Volumens um die aufsummierte Teuerungsrate von 33,2% wäre dieser
stille Rabatt von 17,26% auf jede Rechnung seit 1996 definitiv für uns Ärzte perdu.

Meiner festen Überzeugung nach ist das Faktum dieses Rabatts den Finanzmathematikern, den Betriebs- und
Volkswirten der Versicherungsbranche sehr wohl bewusst. Kein Wunder also, dass die Versicherer ein großes Interesse daran haben, bei den Verhandlungen zur GOÄ auf Zeit zu spielen. Erlauben Sie mir jedoch zu bezweifeln, dass
auch die Verhandlungsführer der BÄK um diesen stillen Rabatt wissen.

– Eine wichtige Größe für die Verhandlungsführung sollte die Zunahme der Einkommen der Vorstände und
der Aufsichtsräte der Krankenversicherer incl. Boni und sonstiger geldwerter Vorteile seit 1996 sein. Da dieser Zuwachs sicher höher liegen wird als die null Prozent GOÄ-Zuwachs, muss die Frage erlaubt sein, was die Arbeit
der leitenden Angestellten der Versicherungen wertvoller macht als die Arbeit der Ärzteschaft. Beide Ausgaben – sowohl die Finanzierung der Arztrechnungen nach GOÄ als auch die Bezahlung des Spitzenpersonals der Versicherer
– erfolgt aus derselben Quelle: den Prämieneinnahmen der Versicherer, so dass beide Größen zwingend zusammen betrachtet werden müssen.

Allerdings gibt es drei wesentliche Unterschiede in der Tätigkeit der Ärzte und des Versicherungsmanagements:

1. Die Tätigkeit des Versicherungsmanagements setzt zwingend die Tätigkeit der Ärzte voraus: ohne Ärzte
keine Krankenversicherer. Unsere ärztliche Arbeit hingegen ist auf die Existenz von Versicherungsmanagern nicht angewiesen.

2. Während Versicherungsmanager ihr Salär brutto beziehen, handelt es sich bei den Einnahmen der niedergelassenen
Ärzte nach GOÄ um Umsatz.

3. Zumindest niedergelassene Ärzte haften mit ihrem persönlichen Vermögen für ihre Tätigkeit, sie tragen
ein verlustbewährtes unternehmerisches Risiko. Dieses Risiko gehen Versicherungsmanager nicht ein.

Nach diesen Überlegungen stellt sich umso dringender die Frage, was eine Anhebung der Einkommen in der PKV, insbesondere in den Vorstandsetagen, seit 1996 rechtfertigt, während die GOÄ seitdem nicht angepasst wurde.

Dem vorhersehbaren Einwand der Versicherer, die Ausgaben für Arztrechnungen seien seit erheblich gestiegen,
ist entgegenzuhalten: Der medizinische Fortschritt hat seinen Preis, ebenso wie die Vorgaben der Gesetzgebung und die Rechtsprechung, die immer höhere Ansprüche an die ärztliche Sorgfalt stellen. So werden bekanntermaßen
etliche MRT-Untersuchungen veranlasst, um als Arzt gegen den Vorwurf gewappnet zu sein, unsorgfältig diagnostiziert zu haben. Die Bundesärztekammer möge exemplarisch die Zahl der MRT-Geräte 1996 der von 2014 gegenüberstellen.
Der veranlassende Arzt hat keinerlei finanziellen Benefit von der Überweisung zum MRT, der Versicherer trägt hingegen sehr wohl die Kosten.

Aus Ihrer Arztzahlenstatistik ist zu errechnen, dass 2013 1.909 deutsche Ärzte ins Ausland abgewandert sind (http://www.bundesaerztekammer.de/page.asp?his=0.3.12002.12012)

Die Ausbildung eines Medizinstudenten in Deutschland kostet bekanntlich circa 200.000 Euro (die eines Juristen hingegen lediglich etwa 22.000 Euro). Der Verlust der Fähigkeiten, die durch die Abwanderung fertiger Fachärzte entstehen (und um solche dürfte es sich bei den Abwanderern überwiegend handeln), ist in dieser Rechnung noch nicht beziffert. Der volkswirtschaftliche Schaden durch die Abwanderung von Ärzten liegt demnach allein 2013 bei rund 382 Millionen Euro, berechnet an den Kosten für das Medizinstudium. Die Schweizer stellen diese Rechnung seit langen Jahren an und bilden nur halb so viele Ärzte aus, wie sie zur Versorgung der eigenen Bevölkerung brauchen. Darauf, dass Deutschland trotz des eigenen zunehmenden Ärztemangels genug Mediziner ins Ausland vertreibt, ist für die Eidgenossen Verlass. Die anstehende GOÄ-Reform wird vermutlich das ihre zur Beschleunigung dieser Entwicklung tun.

Zur Verhandlungsführung:

Ihnen als ehemaligem Vorsitzenden des Marburger Bundes ist klar, wie wichtig bei Tarifverhandlungen die fortwährende
offene Kommunikation mit den Klinikärzten über den Stand der Verhandlungen ist. Vollkommen unverständlich ist mir daher, weswegen die Verhandlungen zur GOÄ in Hinterzimmern unter Ausschluss der betroffenen Ärzte geführt
werden. Dass Heimlichtuerei im Interesse der Versicherer und der Politik liegt, leuchtet ein, denn schließlich geht es um nichts anderes, als die Ärzteschaft irgendwann einmal vor vollendete Tatsachen zu stellen. Verhandlungen
mit Stillschweigen sind allerdings ganz und gar nicht im Interesse der Ärzteschaft. Bitte schaffen Sie jetzt (!) Transparenz über den Stand der Verhandlungen!

Nach diesen Überlegungen möchte ich folgende konkrete Bitten an Sie richten:

1. Schaffen Sie Transparenz: Welcher Volumenzuwachs der GOÄ ist nach dem jetzigen Stand der Verhandlungen
angedacht? Welchen grundlegenden Veränderungen (Stichwort „robuster Einfachsatz“ etc.) sind vorgesehen?

2. Informieren Sie die Ärzteschaft bei jeder neuen Verhandlungsrunde über den Stand der Dinge. Intransparenz
ist im Interesse der Versicherer und der Politik – nicht im Interesse der Ärzteschaft.

3. Eruieren Sie und machen Sie publik, in welcher Höhe die Gehälter incl. Boni und sonstiger geldwerter
Vorteile der Vorstände und auch der Aufsichtsräte der Krankenversicherer durchschnittlich seit 1996 angestiegen sind.

4. Erkunden Sie und machen Sie publik, in welcher Höhe die Prämienzahlungen der PKV-Versicherten im Durchschnitt
seit 1996 angestiegen sind.

5 Holen Sie sich externen wirtschaftswissenschaftlichen Sachverstand und schaffen somit gleich lange Spieße,
wenn es um die Diskussion um wirtschaftliche Fakten geht.

Auch andere freie Berufsgruppen wie Rechtsanwälte, Steuerberater, Architekten etc. haben seit 1996 deutliche
Anhebungen ihrer Gebührenordnungen erfahren. Unverständlich ist, weswegen Ärzte schlechter gestellt werden sollen als diese Berufsgruppen. Sollte seitens der Politik das Argument vorgebracht werden, die Ärzte seien wegen
des Ziels eines ausgeglichenen Staatshaushalts im Hinblick auf die Ausgaben der Beihilfen anders zu behandeln als die genannten Berufe, so lässt sich eine Gleichbehandlung dennoch herstellen: Absenkung der Gebührenordnung
der anderen freien Berufe. Angemessen wäre im selben Sinne auch eine Anpassung der Vergütungen in den Vorstandsetagen der Krankenversicherer nach unten incl. Rückführung von Mehrzahlungen in der Vergangenheit. Ein „Sonderopfer
Ärzte“ darf es jedenfalls nicht geben.

Übrigens hatte ich zwei an vorderster Front berufspolitisch aktive Kollegen gebeten, die Argumente mit Ausnahme
der Arztabwanderung Ihnen schriftlich vorzutragen. Diese Kollegen hatten sich trotz Nachfrage meinerseits auch nach vier Wochen dazu offenkundig nicht entschließen können; jedenfalls hat mich trotz expliziter Bitte keine
entsprechende Rückmeldung erreicht. So schreibe ich Ihnen nun als 08/15-Niedergelassener ohne jedwede berufspolitische Hausmacht diesen Brief in der Hoffnung, trotzdem durchzudringen.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Christian Nunhofer