Sie haben es sicher schon den Medien
entnommen: Minister Gröhe bringt ein neues Gesetz für
Kassenpatienten auf den Weg. Das Versorgungsstrukturgesetz. Inhalt
unter anderem: Termingarantie für notwendige Behandlungen beim
Facharzt innerhalb von vier Wochen, dazu Einführung von
Terminvergabestellen. Was für eine Ausgeburt an intellektueller
Leistung sich hinter diesem Gesetzesvorhaben verbirgt, will ich Ihnen
an einem Beispiel verdeutlichen.
Ein kühner Plan
Stellen Sie sich vor, die Regierung
befürchtet, dass die Kosten für Brot und Semmeln aus dem Ruder
laufen. Sie hat deswegen schon seit Jahren festgelegt: Der Mehlpreis
wird fixiert und damit die Bevölkerung nicht zu dick wird, bekommt
jeder Bäcker von vornherein nur eine bestimmte, recht knappe Menge
Mehl zugeteilt, um seine Kunden zu versorgen. Auch die Preise für
Brötchen und sonstigen Leckereien des Bäckers sind fest vorgegeben.
Es gibt Bezugskarten für die Bevölkerung, die eine Art
Ersatzwährung darstellen. Für eine Bezugskarte erhält der Kunde
eine Semmel, für fünf ein Brot – so in der Art. Eigene
Preisgestaltung ist den Bäckern damit nicht erlaubt. Und mehr als
eine bestimmte Menge an Bezugskarten darf der Bäcker pro Vierteljahr
auf keinen Fall annehmen. So hat es die Regierung beschlossen –
gängige Praxis.
Unsere Opas und Uromas könnten sich
erinnern: Solch ein System gab’s tatsächlich während der Mangelzeit
im Zweiten Weltkrieg und den elend schlechten Jahren anschließend.
Sogar der Begriff stimmt: „Bezugskarten“.
Natürlich kann in unserem fiktiven
Beispiel jeder rationierte Bäcker Mehl dazukaufen, falls er
berechtigte Zweifel daran hat, dass zu wenig Rohstoff da ist, um die
Bevölkerung zu versorgen. Die zugewiesenen Mengen sind nämlich in
der Tat sehr knapp kalkuliert. Um auch nur die Stammkundschaft
ausreichend zu versorgen, bräuchte er zirka fünfzehn Prozent mehr
Mehl. Das mit dem Zukaufen ist aber so eine verzwickte Sache:
Schließlich muss der Handwerker die zusätzliche Dosis aus der
eigenen Tasche bezahlen. Mehreinnahmen hat er durch den Zukauf
allerdings nicht, denn für die Zahl an Bezugskarten, die er annehmen
darf, reicht die staatlich zugewiesene Menge Mehl aus. Nicht nur,
dass ein mit der hungernden Bevölkerung mitleidiger Bäcker das
zusätzliche Mehl selber bezahlen „dürfte“! Er müsste die
zusätzlich gebackenen Teigwaren auch noch verschenken.
Lange Schlangen, murrendes Volk
Die Folge des Systems: die Schlangen
vor den Bäckereien werden immer länger, das Volk beginnt zu murren.
Nun hat ganz ohne Vorwarnung der
Ernährungsminister eine geniale Idee! Es gibt erwiesenermaßen
Hotels mit eigener Bäckerei für den internen Bedarf. „Wenn
Bäcker nicht mehr genug eigene Semmeln für die Bevölkerung backen
erlauben wir Hotelbäckereien, die Bevölkerung mitzuversorgen.
Sobald die Schlange vor einer Bäckerei mehr als fünf Personen
zählt, dürfen Hotelbäckereien Bezugskarten von der Bevölkerung
annehmen! Die Bäckereien im Ort müssen das Mehl aus ihren eigenen,
streng rationierten Vorräten an die Hotels abgeben“. Der
Minister ist mit sich selbst überaus zufrieden und macht sich daran,
das Hirngespinst in Gesetzesform zu gießen.
Dass es sich beim geistigen Konstrukt
des gewählten Volksvertreters um eine Milchmädchenrechnung handelt,
ist jedem Kleinkind klar: Das Mehl wird schließlich durch die
Umverteilung weg vom Bäckermeister Schmidt und hin zur Hotelbäckerei
XY nicht mehr.
So, jetzt lösen wir mal diese schöne
Parabel auf:
– Die Bäcker sind die niedergelassenen
Kassenärzte, die Hotelbäckereien die Krankenhausambulanzen.
– Die Rationierung heißt
„Honorarbudget“: Jeder Arzt bekommt im Quartal nur einen
bestimmten Kassenumsatz genehmigt. Bei Überschreitung hat er Pech.
Bereits jetzt arbeiten die Kassenärzte ungefähr fünfzehn Prozent
mehr, als sie bezahlt bekommen. Das heißt: sie schenken fünfzehn
Prozent ihrer Arbeitsleistung den Patienten und entlasten damit die
Finanzen der Gesetzlichen Krankenkassen (wobei – nebenbei bemerkt –
auch die fünfzehn Prozent verschenkte Arbeit mit hundert Prozent
Personalkosten und hundert Prozent straf- und haftungsrechtlichem
Risiko einhergehen). Um also im Bild zu bleiben: die Ärzte verhalten
sich schon seit Jahren wie Bäcker, die aus der eigenen Tasche Mehl
dazukaufen, um daraus gebackene Semmeln zu verschenken.
– Die Bezugskarte nennt sich im
Gesundheitswesen „Elektronische Versichertenkarte“, kurz
EGK. Das System dahinter ist allerdings raffinierter als das mit den
Bezugskarten. Sobald der „Kunde“ seine Bezugskarten für
die Bäckerei verbraucht hat, besteht Klarheit: er kann keine Karten
mehr abgeben und somit auch keine Sachleistung mehr beziehen. Die EGK
hingegen gibt keine Auskunft darüber, wann der „Kunde“
Patient sein Quantum an ärztlichen Leistungen aufgebraucht hat.
Selbst der Arzt weiß nicht, wann er im übertragenen Sinne
Überstunden macht. Er kann es allenfalls abschätzen – und
gegebenenfalls am Quartalsende die Praxis zusperren, wenn er das
Gefühl hat, im „roten Bereich“ zu operieren und seine Leistung
wegen Budgetüberschreitung zu verschenken.
– Die Schlange vor der Bäckerei
korreliert mit der Wartezeit auf einen Facharzttermin. Die
anstehenden fünf Personen entsprechen der geplanten Termingarantie
von spätestens vier Wochen beim Facharzt. Falls der Patient
innerhalb von vier Wochen keinen Facharzttermin bekommt, soll er die
Krankenhausambulanz aufsuchen dürfen.
– Der „schlaue“ Minister heißt
Herrmann Gröhe und hat sich mit Gesundheitspolitik ganz und gar
nicht befasst, bis „Mutti“ beschloss, dass der Bub jetzt
eben lieber Gesundheitsminister wird, bevor er auf der Straße sitzt.
Also was wird es bringen, im
rationierten System Geld von den niedergelassenen Kassenärzten weg
und hin in die Klinikambulanzen zu verteilen, bei gleich bleibender
Geldmenge? Richtig: Nichts!
Kleinere Brötchen
Was wird das geplante Gesetz konkret
bewirken?
– Ein Teil der Bäcker wird kleinere
Brötchen backen, um die Schlange vor der Ladentür dadurch schneller
zu versorgen. Dadurch reicht das Mehl für mehr Semmeln, die aber
weniger satt machen, weil sie eben kleiner sind. Hauptsache, jeder
kriegt seinen Facharzttermin innerhalb von vier Wochen. Welche
Leistung er indes erfährt, steht auf einem anderen Blatt. Beispiel:
„Ja, Herr Meier, an sich bräuchte es eine Magenspiegelung.
Dafür habe ich jetzt aber keine Zeit. Aber ich plane Sie ein, bitte
stellen Sie sich wieder am Ende der Schlange an“. Wobei sich das
symbolische Ende der Menschen-Ansammlung im nächsten Quartal
befindet. Dafür gibt’s ja wieder eine neue Mehlzuteilung, sprich:
ein neues Honorarbudget…
– Ein Teil der Patienten wird
tatsächlich im Krankenhaus landen, wobei diese für zusätzliche
ambulante Untersuchungen und Behandlungen leider gar nicht
ausgestattet sind, denn – o Wunder! – auch in den Kliniken herrscht
inzwischen Ärztemangel. Wartezeiten in der Klinikambulanz –
wesentlich länger als in den Wartezimmern der Praxen – sind
vorhersehbar, und der „Bäckermeister“ Chefarzt in der Klinik
wird alsbald klagen: „Vom Wert einer Bezugsmarke können nicht
einmal meine Lehrlinge bezahlt werden!“ Höchstens für die
Facharzt-Bäckermeister „ums Eck“ soll also das Geld reichen, für
die Facharzt-Azubis, also die Assistenzärzte in den Kliniken,
hingegen nicht?!
O Herr, schmeiß Tonnen Hirn vom Himmel
auf Berlin und lass Minister Gröhe zumindest in diesem Moment auf
der Straße sitzen!