Neulich
wurden in irgendeinem TV-Politmagazin junge Schnäppchenjäger in
Technik-Fachmärken interviewt. Ja, doch, das würden sie so machen:
erst hier die Fachberatung vom Verkäufer in Anspruch nehmen und dann
sofort noch im Geschäft das Produkt via Handy bei Amazon billiger
bestellen. Schließlich gilt: Geiz ist geil. Unsereiner hingegen ist
ein alter Knochen mit 55 Jahren auf dem Buckel. Zu den Urzeiten
meiner von jeder modernen Pädagogik

Blog Image

freien Erziehung hieß es
freilich noch: Geiz ist unanständig.

Vor
einigen Wochen trat der ZDF-Unterhaltungschef zurück, nachdem die
Reihenfolge des Abstimmungsergebnisses der Sendung „Deutschlands
Beste“ manipuliert worden war. Begründung: Die Manipulation
habe gegen ZDF-interne Regeln verstoßen. So so – und wenn es diese
ZDF-internen Regeln nicht gegeben hätte, dann wäre wohl alles in
Ordnung gewesen? Nein, die Manipulation war schlicht unanständig,
und das allein hätte für einen Rücktritt vollauf genügt.

Erinnern
Sie sich noch an das Unverständnis des Richters über die allgemeine
Aufregung wegen der Sitzvergabe im Gerichtssaal vor Beginn des
NSU-Prozesses? Keine türkische und griechische Presse dabei? Die
seien mit ihrer Anmeldung eben zu spät dran gewesen, meinte der Herr
Rat, die Sitzvergabe sei formaljuristisch ganz korrekt verlaufen. Da
hatte der Herr Vorsitzende eines nicht verstanden: Was
formaljuristisch korrekt ist, ist noch lange nicht anständig. (Die
Juristen unterscheiden hier übrigens zwischen positivem Recht = nach
den Paragraphen korrekt und Naturrecht = anständig. Wenn solche für
Juristen gängige Überlegungen allerdings nicht einmal mehr durch
die Hirnwindungen von Richtern an Oberlandesgerichten wabern – armes
Deutschland …)

Zusammenfassung:
Ohne den alten, moralinsäuerlichen Begriff „Anstand“ geht
es im zwischenmenschlichen Miteinander schlicht nicht. Und was
verlangt der Patient zu Recht vom Arzt? Anstand! Schlicht Anstand ist
auch das, was der Hippokratische Eid bzw. dessen moderne
Formulierung, das Genfer Gelöbnis, den Ärzten mit folgenden
Formulierungen aufzwingt:

Aus
dem Genfer Gelöbnis:
Bei
meiner Aufnahme in den ärztlichen Berufsstand gelobe ich
feierlich:
mein Leben in den Dienst der Menschlichkeit zu
stellen.

Ich werde meinen Beruf mit Gewissenhaftigkeit und
Würde ausüben.
Die Gesundheit meines Patienten soll oberstes
Gebot meines Handelns sein.
Ich werde alle mir anvertrauten
Geheimnisse auch über den Tod des Patienten hinaus wahren.

Ich
werde jedem Menschenleben von seinem Beginn an Ehrfurcht
entgegenbringen und
selbst unter Bedrohung meine ärztliche Kunst
nicht in Widerspruch zu den Geboten der Menschlichkeit anwenden.
Dies
alles verspreche ich feierlich und frei auf meine Ehre.

Dagegen
steht im Sozialgesetzbuch im 5. Kapitel (SGB V), das die
Kassenmedizin regelt:

§
12 Wirtschaftlichkeitsgebot

(1)
Die Leistungen müssen ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich
sein; sie dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten.
Leistungen, die nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind, können
Versicherte nicht beanspruchen, dürfen die Leistungserbringer nicht
bewirken und die Krankenkassen nicht bewilligen.

Es
braucht kein Studium in Philosophie, um zu erkennen, dass
„Gewissenhaftigkeit und Würde“ nicht vereinbar ist mit
„ausreichend, zweckmäßig, wirtschaftlich und notwendig“.
Jeder anständige (!) Arzt will seine Patienten sehr gut = „Note
1“ behandeln, und nicht – wie vom Gesetz vorgeschrieben –
ausreichend = „Note 4“.

Anständige
Medizin von Ärzten, die anständig bleiben wollen, ist dank SGB V im
deutschen Kassenarztsystem schlicht verboten.

Aber
– wenn „Geiz ist geil“ für den Schnäppchen jagenden Otto
Normalverbraucher gilt, der noch im Elektronikfachmarkt nach
anständiger Beratung unanständigerweise seinen Einkauf bei Amazon
tätigt, warum sollte dann „Geiz ist geil“ nicht auch für
die gesetzlichen Krankenkassen gelten, die mit Hilfe der Politik
unanständigerweise den Hippokratischen Eid respektive das Genfer
Gelöbnis für Kassenpatienten außer Kraft gesetzt haben? Otto
Normalverbraucher ist hier Täter und dort Opfer – so schließt der
Kreis sich eben.

Wollen
wir nicht vielleicht doch den muffig-alten Begriff „Anstand“
reaktivieren? Es gäbe so viele Bereiche, auf die er anwendbar wäre,
ja dringend angewendet werden müsste: Nicht nur aufs
Gesundheitswesen und den Einkauf im Elektronikfachmarkt – oder die Höhe
von Managergehältern …